Bartholomäus Ziegenbalg


T r a n q u e b a r  --

Bilder aus den ersten hundert Jahren

lutherischer Mission in Indien

Drei Kurzbiographien

Nach alten Berichten zusammengestellt

von

Roland Sckerl

Inhaltsverzeichnis

Bartholomäus Ziegenbalg

und die Anfänge der lutherischen Mission in Indien

Vorwort

Aufbruch der Kirche zu missionarischem Dienst

Ziegenbalgs Herkunft und Jugend

Berufung in den Missionsdienst

Die Anfänge in Tranquebar

Ausweitung der Arbeit

Hindernisse und Schwierigkeiten

Neue Mitarbeiter – neue Probleme

Ziegenbalgs Europareise

Fortgang der Missionsarbeit in Indien

Bartholomäus Ziegenbalg als Pioniermissionar

Christian Friedrich Schwartz,

der Königspriester von Tanjore

Der Weg in die Mission

Schwartz als Missionar in Tranquebar

Missionar in Tiruchi

Königspriester in Tanjore

Johann Philipp Fabrizius,

der Meister der tamilischen Sprache

Kindheit und Jugend – Zurüstung zum Missionsdienst

Einarbeiten in den Missionsdienst

Der Übersetzer

Und wie ging es weiter?

Inhaltsverzeichnis

und die Anfänge der lutherischen Mission in Indien

Ein Lebensbild

Nach alten Berichten zusammengestellt

von

Roland Sckerl

Vorwort

Die evangelisch-lutherische Kirche darf in diesem Jahr (2006) durch Gottes Gnade den 300. Jahrestag des Beginns ihrer missionarischen Tätigkeit überhaupt, und dabei besonders der Mission in Indien, begehen. In einer Zeit, in der in den Großkirchen unter dem Einfluss des vom altbösen Feind gesteuerten Zeitgeistes Mission immer stärker negativ betrachtet wird und die Tendenz zunimmt, sie durch Sozialarbeit zu ersetzen oder diese zumindest der Verkündigung der für Zeit und Ewigkeit rettenden Heilsbotschaft gleich zu setzen, ist es wichtig, dass sich die Gemeinde des Herrn, die ihrem Heiland und Herrn Jesus Christus in Treue zur Bibel und dem lutherischen Bekenntnis dienen will, neu besinnt auf diesen Auftrag und sich anreizen lässt auch durch das Beispiel derer, die einst schon in diesen Dienst getreten sind. Es ist Gottes besondere Gnade gewesen, dass gerade mit dem Beginn der Missionsarbeit der lutherischen Kirche in Indien Maßstäbe gesetzt wurden, die für die weitere Missionsarbeit überhaupt von großer Bedeutung wurden. Es ist sehr bedauerlich, dass, entgegen auch der frühen Missionswissenschaft eines Gustav Warneck, die spätere, zumeist evangelikal ausgerichtete und auf die Angelsachsen fixierte, Missionstheologie so wenig Bezug genommen hat auf die Missionsarbeit und Missionstheologie, die in der lutherischen Kirche entwickelt wurde. Dies mag sicherlich damit zusammen hängen, dass durch die Folgen des zweiten Weltkrieges das Zentrum der lutherischen Mission, die Leipziger Mission, faktisch ausgeschaltet wurde, und die anderen bedeutenden Missionen, Hermannsburg und Neuendettelsau, immer mehr in das Fahrwasser der sich mehr und mehr von Schrift und Bekenntnis entfernenden Landeskirchen begaben und so allerdings keinen Anreiz boten, von ihnen zu lernen – und lutherische Kirchen sich in Deutschland zumeist in Form immer mehr deformierter Landeskirchen sich zeigen. Und das so lebendig missionarisch ausgerichtete skandinavische Luthertum ist, wohl nicht zuletzt durch die sprachliche Barriere, einem Großteil der restlichen Christenheit doch sehr unbekannt geblieben – ganz zu schweigen von den jungen lutherischen Kirchen in Afrika und Asien, deren zum Teil sehr reges Leben – und auch geistlichen Aufbrüche, wie etwa in Ostafrika – gerade einmal von „Insidern“ wahrgenommen wird.

Im 19. Jahrhundert sind Erweckung, kirchliche Erneuerung, Mission und Diakonie Hand in Hand gegangen, ja, es war eine ganz natürliche und biblisch saubere Frucht des neu erwachenden Glaubenslebens, dass es mündete in Mission, Evangelisation und Diakonie. Auch heute kann eine Erneuerung des missionarischen Wirkens – in innerer wie äußerer Mission – nur erfolgen als eine Frucht tiefgehender geistlicher Erneuerung, also als eine Frucht echter Buße und Umkehr zu unserem Heiland Jesus Christus, einer Reformation der Kirche und Erweckung der Menschen. Möge dieses Gedenkjahr der Anfänge der lutherischen Mission in Indien gerade auch dazu dienen, dass ein Fragen, Suchen, Sehnen aufbricht nach der echter geistlicher Erneuerung auf der Grundlage von Schrift und Bekenntnis.

                                                                              Der Herausgeber

Aufbruch der Kirche zu missionarischem Dienst

Was hat den Anstoß gegeben, dass endlich, gut 150 Jahre nachdem die evangelisch-lutherische Kirche auch rechtlich durch den Augsburger Religionsfrieden von 1550 eine gesicherte Stellung erhielt, sie begann, den Missionsbefehl aus den Evangelien und der Apostelgeschichte auch in die Praxis umzusetzen? In den Briefen der Missionare und den offiziellen Darstellungen der damaligen Zeit wird immer wieder die Frömmigkeit des dänischen Königs Friedrich IV. gerühmt. Aber sie kann den Ausschlag nicht gegeben haben. Denn in Wahrheit, wie Zeitgenossen, etwa auch ein damaliger Bischof in einem Privatbrief, berichteten, stand es damit gar nicht gut, vielmehr war er, betrüblicherweise, dem Sündendienst ergeben. Und doch, dieser Fürst, der ja ansonsten seinem Volk durchaus manche Wohltat erwies, er wurde das Mittel in der Hand Gottes, die lutherische Kirche in die Arbeit der Weltmission einzuführen. Immerhin soll er schon als Kronprinz sich gewundert haben, dass die evangelische Kirche keinen Versuch mache, die Heiden zu bekehren – Dänemark hatte damals immerhin Kolonien in Ostindien (im Tamilengebiet Indiens) und in Westindien (Karibik) und hatte auch sonst mit Grönland und den samischen Gebieten Norwegens sozuagen vor der Haustür ein Missionsfeld (Grönland, Island, Norwegen und Schleswig-Holstein waren damals mit Dänemark zu einem Reich verbunden (Holstein allerdings gleichzeitig Teil des Deutschen Reiches)).

Erst als Franz Julius Lütkens 1704 Hofprediger in Kopenhagen wurde, änderte sich die Lage. Lütkens, geborener Lauenburger, war zuvor Propst in Berlin gewesen und stand dort in gutem Einvernehmen mit Philipp Jakob Spener, nicht aber mit August Hermann Francke und seinen Hallensern, die, in ihrer leider immer wieder hervortretenden geistlichen Arroganz, ihn als „nicht wiedergeboren“ bezeichneten. Dieser Lütkens, der durch seine Predigten sich bald ein großes Ansehen erwarb, wies König Friedrich IV. auf die Missionspflicht der dänischen Kirche den heidnischen Untertanen gegenüber hin. Friedrich IV. griff dieses Wort auf und beauftragte seine drei Hofprediger, neben Lütkens waren noch Dr. Jespersen aus Trontheim (Norwegen) und der Mecklenburger Dr. Masius im Amt, nach geeigneten Sendboten Ausschau zu halten.

Aber hier traten die ersten Schwierigkeiten auf. Lütkens stand bereits damals in der dänischen Pastorenschaft isoliert da, insbesondere seine beiden Amtsbrüder im Hofpredigeramt opponierten gegen ihn und versagten die Mitarbeit. Lütkens musste sich also allein auf die Suche begeben. Er setzte sich mit Bischof Bornemann von Seeland in Verbindung. Aber dieser hatte nur eine traurige Nachricht für ihn: Er kenne keinen, der für diesen Dienst geeignet wäre. Sollte also der erste ernsthafte Schritt zur Missionsarbeit bereits im Keim erstickt werden?

Hier zeigte es sich nun, dass Gott der Herr wahrhaft in allen Dingen der Herr ist und alles vorausschauend lenkt und führt. Und die Berufung von Franz Julius Lütkens nach Kopenhagen war eben solch ein Zeichen der köstlichen göttlichen Regierung seiner Kirche. Denn durch ihn bestand ja ein Kontakt zu den erweckten Kreisen in Deutschland. Und so erhielt Lütkens vom König den Auftrag, sich in Deutschland nach Missionaren umzusehen. Und er wandte sich an seine früheren Amtsbrüder in Berlin, Johann Lysius und Christian Campe. Diese berieten sich mit gleichgesinnten Predigern Berlins. Und nun zeigte sich wiederum, wie Gottes Hand wirkt und wie er schon die rechten Werkzeuge für die Aufgabe, die er seiner Kirche gegeben, bereitet hatte. So zu sagen „zufällig“ weilte nämlich in der Nähe der junge Kandidat Bartholomäus Ziegenbalg. Ihn wollten sie auffordern, dem Ruf Folge zu leisten. Wie die folgenden Jahre zeigten, war er genau der rechte Mann, der durch seine Wirksamkeit Maßstäbe für die missionarische Arbeit setzte.

Ziegenbalgs Herkunft und Jugend

Als Ziegenbalg von den Berliner Pastoren angesprochen wurde, den Ruf in die Mission anzunehmen, lag bereits eine schwere Kindheit hinter ihm. Er wurde am 10. Juli 1682 in Pulsnitz in der Oberlausitz als Kind frommer Eltern geboren, verlor aber seine Eltern schon sehr früh. Aber sie hatten ihm doch noch prägende Eindrücke hinterlassen können, die für seinen weiteren Weg bedeutend wurden, was auch zeigt, wie wichtig es ist, so früh wie nur irgend möglich den Kindern geistliche Prägung zu geben. Als seine Mutter im Sterben lag, versammelte sie ihre Kinder um ihr Sterbelager und sprach zu ihnen: „Liebe Kinder, ich habe euch einen großen Schatz gesammelt, einen sehr großen Schatz habe ich euch gesammelt.“ Die älteste Tochter fragte verwundert, wo sie denn diesen Schatz habe. „Suchet ihn in meiner Bibel, liebe Kinder, da werdet ihr ihn finden, denn ich habe ein jedwedes Blatt mit meinen Tränen benetzt.“ (Plitt/Hardeland, S. 38) Der Vater hatte sich noch zu Lebzeiten seinen Sarg anfertigen lassen, um ständig an die Vergänglichkeit des Lebens erinnert zu werden. Als eine große Feuersbrunst durch Pulsnitz tobte und auch das Ziegenbalg’sche Haus erfasste, wusste man sich keinen anderen Rat, als den schwerkranken Mann in seinen Sarg zu legen und auf den Marktplatz zu tragen, wo er bald darauf verschied. Bartholomäus war damals sechs Jahre alt. Den Eindruck von seinem im Sarg sterbenden Vater hat er nicht vergessen; die mit Tränen benetzte Bibel der Mutter hat er später mit ins Tamilenland genommen.

Da er nun Waise geworden war, konnte er nur eine mangelhafte Ausbildung absolvieren. Desto mehr aber wurde sein geistliches Leben geprägt. Als er 16 Jahre alt war, sprach ihn in Görlitz ein Student auf das ewige Heil, die Errettung der Seele an. Dies wurde der Auslöser zu Bartholomäus’ gründlicher, tiefgehender Bekehrung. Es war nicht zu verwundern, dass er nun die Zielscheibe des Spotts seiner Mitschüler wurde, die über seine „Phantasterei und Singularität“ höhnten. Umso mehr aber schloss er sich solchen Männern an, die ihn im christlichen Glauben fördern und festigen konnten. Er wandte sich an August Hermann Francke nach Halle, der ihn an den Rektor des Friedrich Werderschen Gymnasiums nach Berlin, Joachim Lange, empfahl. Leider konnte Bartholomäus dort nicht lange bleiben, da er immer wieder kränklich war und daher in seiner Heimat dann seine Ausbildung alleine fortsetzen musste.

Im Jahr 1703 bezog er die Universität in Halle. Sein brennender Wunsch war es, für Gott zu arbeiten. Darum warf er sich mit rastlosem Eifer und ernstlichem Gebet auf das Studium der Theologie. Aber auch jetzt schien es wieder so, als sollte nichts daraus werden. Wieder legte Gott ihm ein Kreuz auf, erneut brach seine Krankheit hervor. Bartholomäus erkannte durchaus, dass dieses Kreuz zugleich Gottes Mittel war, um an ihm zu arbeiten, nämlich den starken Eigenwillen zu brechen, den er er selbst als Fehler durchaus erkannt, aber nicht genügend bekämpft hatte. Auch trat nun vor sein inneres Auge die Größe und Verantwortung des Pastorenamtes, die ihn schier zu erdrücken schien. Aus beiden Gründen, seiner Krankheit und dieser großen Verantwortung, wollte er jetzt doch dem Predigtamt, auf das er sich so sehnsüchtig vorbereitete, entsagen. Aber er wollte auch nicht aus eigenem Entschluss handeln und bat deshalb um ein Gespräch mit seinem Lehrer Breithaupt. Diese Unterredung sollte für seinen weiteren Weg schon eine Richtung weisen. Im Laufe des Gespräches äußerte nämlich Bartholomäus Ziegenbalg den Gedanken, „dass ja einige in fremde Länder geschickt würden, allwo man diejenigen Wissenschaften, so nächst der Theologie pflegten erlernt zu werden, und auf welche er sich wegen seiner kränklichen Konstitution nicht recht habe applizieren [vorbereiten] können, eben nicht sonderlich von nöten hätte“. Seine Frage war, ob nicht vielleicht auch er dafür zu gebrauchen wäre. Breithaupt gab ihm eine Antwort, an die Ziegenbalg später noch oft denken musste: „Wenn man eine Seele unter dergleichen Völkern rechtschaffen zu Gott führte, so wäre solches ebenso viel, als wenn man in Europa hundert gewönne, indem diese täglich genugsame Mittel und Gelegenheit zu ihrer Bekehrung hätten, jenen aber dergleichen mangelten.“ (Plitt/Hardeland, S. 39) „So brachte“, menschlich gesehen, „Ziegenbalg nichts mit, womit er eine gute missionarische Figur hätte machen können – aber Gott machte etwas aus ihm, Gott vollbrachte an diesem gebrechlichen und unscheinbaren Werkzeug ein Wunder“. (Lehmann, S. 10)

Aufgrund des Gespräches blieb Ziegenbalg dabei, Theologie zu studieren. Nach einem halben Jahr Studium wurde er dann von seinen Dozenten schon in die praktische Tätigkeit geschickt, nämlich nach Merseburg und Erfurt, um dort als Lehrer zu wirken. Hier sollte er sich also im Unterrichten üben, in der Heimat bald darauf im Predigen. Das waren sicher wichtige Vorbereitungen für seine späteren Aufgaben. Aber – war dies nicht alles noch viel zu früh? Wurde hier nicht einem jungen Gläubigen zuviel anvertraut? Für Ziegenbalg war es allerdings nicht nur förderlich, denn sein Eigenwille wurde dadurch nur noch mehr bestärkt und an rechter Demut mangelte es ihm, wenn er auch betonte: „Die meiste Zeit verwende ich auf die Verbesserung meiner eigenen Seele und suche selbige in ihre rechte Ruhe einzuführen.“ (Plitt/Hardeland, S. 41) Die Halle’sche Prägung tat noch ihr Übriges dazu, dass er, wie viele seine Halle’schen Freunde, überall, wo er hinkam, die Menschen danach beurteilte, ob sie so wären wie in Halle, ob sie den Bußkampf so durchlebt hatten, ob sie so bekehrt waren, wie dies in Halle vorgestellt wurde, ob sie das christliche Leben so einrichteten, wie er es von Halle her kannte. Und war das nicht der Fall, so wurde die Person noch als ungläubig, nicht wiedergeboren, angesehen. Gewiss, er wollte das persönliche geistliche Leben wecken, was völlig richtig war, und auch die Frucht des Glaubens fördern, was auch in Ordnung war. Aber wie er es von Halle gelernt hatte, verachtete er dabei die von Gott gegebenen Mittel, Wort und Sakrament, und übersah, dass Gottes Wege mit den Menschen andere sind als diejenigen, die wir Menschen haben, durchaus nicht drängerisch, sondern oft im Stillen und Verobrgenen wirkend, wo Halle und seine Prediger den offenen Bußkampf sehen wollten und das innerste Leben an die Öffentlichkeit zerrten.

Berufung in den Missionsdienst

Ziegenbalg blieb zunächst in seiner Heimat und wirkte dort, nicht ohne Frucht, als Bußprediger und wollte dann, zum Abschluss seiner Studien, nach Halle zurück. Im August 1705 ging er für kurze Zeit nach Berlin, um dort einen Pastor für einige Wochen zu vertreten. Gerade in dieser Zeit traf die Anfrage aus Kopenhagen bei den Berliner Pastoren ein, die sich sogleich an Ziegenbalg wandten. Er war sich zunächst unschlüssig und antwortete eher ausweichend. Dennoch besprachen sich die Berliner Prediger weiter mit ihm. Schließlich kam aus Kopenhagen die Aufforderung, die Kandidaten zu senden. Neben Bartholomäus Ziegenbalg hatte man noch einen weiteren, Heinrich Plütschau aus Mecklenburg-Strelitz, gewinnen können, der in Berlin ein Schüler Joachim Langes gewesen war und den Ziegenbalg schon von Halle her kannte. Am 1. Oktober 1705 erklärten die beiden jungen Männer den Berliner Pastoren ihre Bereitschaft, in die Mission zu gehen. „Wir gehen in des Herrn Namen, und wenn uns Gott nur eine Seele aus den Heiden schenken möchte, würde unsere Reise schon belohnt sein.“ (Plitt/Hardeland, S. 42)

An eine wirkliche Vorbereitung für den Missionsdienst, wie sie heutzutage durch die Missionsgemeinschaften geschieht, konnte natürlich keine Rede sein. Ziegenbalg wusste dies auch, denn in einem Brief an August Hermann Francke kurz vor seiner Abreise äußerte er unter anderem: „Weil wir aber zu solchen Werke uns ganz untüchtig befinden, und deswegen sonst in große Not und Gefahr geraten werden, so bitten wir den Herrn Professor nebst allen Freunden und Kindern Gottes daselbst, dass sie uns ja täglich in ihr Gebet mit einschließen, auf dass uns Gott hierinnen wolle recht treu machen und mit gehöriger Kraft und Weisheit ausrüsten von Oben zur Verherrlichung seines Namens, zur Verkündigung seiner Wahrheit und zur Vermehrung seines Gnadenreiches.“ (Plitt/Hardeland, S. 42)

So konnte Lütkens also dem König endlich doch zwei Kandidaten für den Missionsdienst vorstellen. Aber damit waren die Probleme nicht beendet. Beide Kandidaten waren bisher weder examiniert noch ordiniert worden. Dies sollte nun in der dänischen lutherischen Kirche geschehen. Dadurch aber sollten neue Schwierigkeiten sich ergeben. Wie schon erwähnt, war die Stellung des deutschen Hofpredigers recht isoliert. Dazu kam, dass nun auch die beiden Männer, die für die Mission vorgesehen waren, Deutsche waren, was ja besagte, dass die dänische Kirche selbst keine geeigneten Kandidaten hatte. Dazu kamen sie aus einer geistlichen Richtung, dem halleschen Pietismus, die allerdings in Dänemark nicht sehr beliebt war. Lütkens konnte es zunächst nicht erreichen, dass er Ziegenbalg und Plütschau examinierte. Vielmehr setzte Bischof Bornemann durch, dass sie vor ihm ihr Examen ablegen mussten. Die Probleme wurden noch dadurch vermehrt, dass Bartholomäus Ziegenbalg meinte, er müsse seine Hallesche Sonderrichtung besonders herauskehren und etwa in einer Predigt vor dem König gerade die Sonderpunkte außerordentlich herauskehrte. So kam es, wie es kommen musste: die Kandidaten fielen im Examen durch. Es wäre falsch, Bischof Bornemann einfach bösen Willen zu unterstellen. Man darf nicht vergessen, dass Ziegenbalg ja tatsächlich nur ein halbes Jahr Theologie studiert hatte und auch Plütschau völlig von der Halleschen Richtung geprägt war. Da war es nicht verwunderlich, dass sie wohl auf mancherlei nicht gut antworten konnten. Lütkens gab aber nicht auf und erreichte bei König Friedrich IV., dass in seinem Haus ein erneutes Examen, unter Beisein des Monarchen, angesetzt wurde, das sie dann schließlich bestanden. Nun befahl Friedrich IV., dass sie durch Bischof Bornemann ordiniert würden, was auch ohne weitere Auseinandersetzungen geschah.

Allerdings lasteten auf dem Unternehmen noch weitere Spannungen, die sicher auch damit zusammen hingen, dass es einfach das erste Mal war, dass die lutherische Kirche Missionare aussandte und man schlicht nicht wusste, was dabei alles zu beachten sei. So war die Stellung der Missionare innerhalb der Kolonie in Ostindien keineswegs geklärt. Es gab dort immerhin bereits zwei Pastoren der dänischen Kirche, die für die europäischen Glieder der Kolonie zuständig waren. Das Verhältnis zwischen ihnen und den Missionaren wurde nicht geregelt. Dann gehörte die Kolonie offiziell der Dänischen Ostindischen Kompanie. Mit ihr wurde das Vorgehen nicht abgestimmt. Der König wies zwar den Gouverneur der Kompanie in Ostindien an, die Missionare zu schützen und ihr Werk zu unterstützen – aber im Grunde genommen war es der Kompanie gar nicht lieb, dass diese Sendboten Jesu Christi kamen (wie übrigens auch in den Gebieten anderer Länder die Handelskompanien, die vielfach den Beginn der Kolonialzeit markierten, sich der Mission in den Weg stellten, da sie, durchaus zu Recht, fürchteten, dass diese Boten des Heilandes das oft schlimme Treiben der Handelsgesellschaften geißeln und Abhilfe fordern würden. Es ist also völlig verkehrt, wenn der Mission heutzutage unterstellt wird, sie sei ein Werkzeug des Imperialismus und der Unterdrückung der Völker gewesen. Das Gegenteil war der Fall.) Wir werden noch sehen, welche Schwierigkeiten gerade die Ostindische Kompanie der Mission bereiten sollte. Und auch die Dänische evangelisch-lutherische Kirche selbst stand keineswegs geschlossen hinter der Mission, im Gegenteil. Vor allem in der frühen Zeit waren es fast ausschließlich einige Hofkreise, die die Missionsarbeit unterstützen. Anders in Deutschland. Hier wurde sie tatkräftig von August Hermann Francke und denen, die mit ihm in Verbindung standen getragen – aber auch Valentin Ernst Löscher, das gediegene geistliche Haupt der lutherischen Orthodoxie, berichtete von ihr in seiner theologischen Zeitschrift „Unschuldige Nachrichten“ und zeigte, dass er sie als Werk der ganzen evangelisch-lutherischen Kirche verstand.

Eigenartig muss uns auch anmuten, dass die Missionare zunächst nur, ähnlich wie die Prediger für die europäische Bevölkerung in Indien, für fünf Jahre ausgesandt wurden (eine Begrenzung, die auch vom biblischen Verständnis der Berufung zu hinterfragen ist), von denen zwei Jahre allein auf Hin- und Rückreise entfielen, also nur gerade mal drei Jahre für wirkliche Missionsarbeit unter den Heiden verwendet werden konnten (und während dieser Zeit mussten sie überhaupt erst einmal die Sprache erlernen).

Wenn man all diese Probleme bedenkt, so ging alles doch recht schnell: Am 15. Oktober 1705 landeten Ziegenbalg und Plütschau in Kopenhagen; am 11. November wurden sie ordiniert; am 29. November stachen sie in See auf dem Schiff Sophia Hedwig.

Wie aber kam es nun, dass sie gerade Tranquebar auf der ostinidischen Küste Koromandel ansteuerten? Es lässt sich nicht mehr eindeutig rekonstruieren. Germann schreibt dazu: „Niemand vermag zu sagen, was zuletzt den Ausschlag für Trankebar gab; wer will der göttlichen Weisheit ihre Wege vorschreiben?“ (Plitt/Hardeland, S. 45) Denn zunächst war ja eher Westindien vom König ins Auge gefasst worden und in Berlin war von Guinea in Afrika die Rede gewesen. Aber auch hier zeigte sich wieder Gottes Führung. Hundertfünfzig Jahre später war es so, dass etwa Dreiviertel aller Christen Ostindiens in eben diesem Tamilenland wohnten! So sind Gottes für uns oft verschlungene Wege!

Dass Gott die junge lutherische Mission gerade dahin führte, offenbart uns auch etwas von seiner weisen Leitung. Die dänische Kolonie war zwar recht klein, mit damals nur etwa 30.000 Einwohnern, hatte aber ein weites Hinterland mit einer Bevölkerung, die die gleiche Sprache verwendete. Zudem war das tamilische Volk schon damals ein kulturell hochstehendes Volk, das über eine eigene Literatur verfügte. Die kulturelle Blütezeit aber war schon vorbei, als die Mission begann. Plitt und Hardeland schreiben über diese Führung des Herrn: „Kurz, überall, in der Bestimmung des Zeitpunktes zum Anfange der Mission, in der Zuweisung der Arbeiter, in der Wahl des Arbeitsfeldes, war die leitende Hand Gottes sichtbar – die „Spuren Immanuels““. (S. 46)

Die Anfänge in Tranquebar

Am 9. Juli 1706 gingen Bartholomäus Ziegenbalg und Heinrich Plütschau in Tranquebar (oder, wie die Stadt auf Tamilisch heißt: Tharangampadi) an Land. Mit ihnen begann die evangelische Missionsarbeit in Indien. Nicht, dass Ziegenbalg und Plütschau die ersten Christen in Indien gewesen wären – die Portugiesen fanden ja bereits eine christliche Gemeinschaft, die Thomaschristen, vor –; sie waren auch nicth die ersten Evangelischen im Lande, denn es gab europäische Protestanten schon vor ihnen im Land: Aber niemand von ihnen hatte bisher an wirkliche Mission unter den Indern gedacht. Nun waren sie also in dem Land, in das Gott sie durch die ‚Dänisch-Hallesche evangelisch-lutherische Mission’, wie das Unternehmen bald genannt werden sollte, ausgesandt hatte. Und doch: Welche Voraussetzungen brachten sie mit? Wie schon berichtet, waren sie auf die Besonderheiten der Arbeit auf dem Missionsfeld nicht vorbereitet worden. Eine Missionstheologie gab es damals noch nicht. Sie wussten weder etwas von der Kultur noch von der Sprache des Volkes, unter dem sie arbeiten sollten. Zwar gab es bereits eine Arbeit anderer christlicher Gemeinschaften in Indien, und zwar von Seiten der römisch-katholischen und der niederländisch-reformierten Kirche. Aber beide waren nicht geeignet, ihnen als Vorbild zu dienen. Die römischen Missionare achteten wenig auf tiefgehende, die Herzen ansprechende Unterweisung, kannten oftmals auch nicht einmal recht die Landessprache, und sahen, wenn überhaupt, nur zu, dass die Menschen etliche Katechismuswahrheiten auswendig konnten und die römischen Zeremonien; oftmals geschahen Taufen ohne jegliche vorherige Unterweisung. Auch die damalige niederländische Mission war, trotz einiger zweckmäßiger Einrichtungen, weit von dem entfernt, was rechte missionarische Tätigkeit bedeutet. Anstatt dass die Missionare die Sprache der Einheimischen lernten, versuchten sie, die Menschen zu zwingen, Niederländisch zu lernen. Später hat die niederländische Mission in feiner christlicher Demut ihre Fehler, gerade auch im Vergleich mit der Dänisch-Halleschen Mission, erkannt und korrigiert.

Ziegenbalg und Plütschau mussten also neue Wege gehen – das heißt, sie waren ganz auf die Leitung durch den Heiligen Geist angewiesen. „Weil wir sahen, dass es hierin allein auf die Erbarmung, Gnade und Macht Gottes ankommen müsse, so stellten wir unter einander eine tägliche Betstunde an, darin wir Gott unser Vorhaben ernstlich vortrugen. Und müssen wir bekennen, dass das Gebet das allerkräftigste Mittel gewesen, unser so hohes und wichtiges Amt mit Freudigkeit und im Segen anzufangen, auch keine Mühe noch Gefahr zu scheuen. Denn da wir keine solche Männer zur Hand hatten, die wir häten um Rat fragen können, auf was Art und Weise dieses oder jenes anzufangen sei, so sind wir stets zu unsesrem lieben Vater im Himmel gegangen und haben ihm alles in unserem Gebet vorgetragen, sind auch von ihm erhöret und mit Rat und Tat begnadigt worden.“ (Plitt/Hardeland, S. 51) So schrieben die beiden Missionare und legten so den rechten Grund für ihre Arbeit. „Die Liebe aber, die sie nach Indien getrieben hatte, gab ihnen die Kraft, auch vor den größten Schwierigkeiten, die sich nun zeigten, nicht zurück zu schrecken. Als evangelische Christen konnte es ihnen nicht darauf ankommen, durch leichtfertige Verwaltung des Gnadenmittels der Taufe nur die Zahl der Getauften zu vermehren; sie wollten dem Herrn Jesu Seelen gewissen, das heißt, die Heiden zum persönlichen, lebendigen Glauben an ihn führen. Dies war aber nicht möglich ohne kräftige und gewandte Handhabung des Wortes. Daraus ergab sich ihnen zuerst, dass es nicht genüge, die Eingeborenen etwa zur Erlernung des Deutschen zu bewegen, sondern dass sie damit anfangen mussten, selbst Lernende zu werden. Sie stellten es als einen selbstverständlichen Grundsatz auf, dass der evangelische Missionar zunächst die Sprache des Volkes, unter welchem er wirken wolle, sich anzueignen habe.“ (Plitt; Hardeland, ebd.) Keine Woche, nachdem sie in Tranquebar angekommen waren, begannen sie damit, aus Büchern Portugiesisch zu lernen und im Umgang mit den Menschen das indische Portugiesisch. Das mag uns heute verwundern. Aber damals war Portugiesisch die Sprache, die allgemein in den Kolonien gesprochen wurde, auch im Verkehr der Europäer mit den Eingeborenen. Aber sehr bald erkannten Ziegenbalg und Plütschau, dass sie damit ihrer Arbeit sehr enge Grenzen setzen würden und entschlossen sich, die tamilische (oder, wie sie damals auch hieß: malabarische) Sprache zu lernen, obwohl ihnen das als eine große Schwierigkeit erscheinen musste. Sie erkannten auch, dass dies unweigerlich zur Folge hatte, dass mit einer Rückkehr nach drei Jahren auf keinen Fall zu rechnen sei. Sie losten deshalb aus, wer die Sprache lernen sollte – das Los fiel auf Plütschau, der allerdings wenig begabt war für Sprachen. Ziegenbalg aber entwickelte selbst einen solchen Eifer, besonders, nachdem er von einer gefährlichen Krankheit wieder genesen war, dass er bald seinen Missionskollegen im Erlernen der Sprache überholte und nun auch sich selbst verpflichtete, sich gänzlich dem Dienst im Tamilenland zu widmen und auf eine Rückkehr nach drei Jahren zu verzichten.

Zunächst ließen sich die beiden Missionare von einem alten Schulmeister im Lesen und Schreiben in ihrem Haus unterrichten, wobei sie sich unter die Kinder setzten, die er zugleich auch unterrichtete. Aber hier standen sie nun vor einem großen Problem: Der Schulmeister konnte kein Portugiesisch und konnte ihnen daher die Bedeutung der Worte nicht mitteilen. Nach etwas mehr als einem Monat aber konnten sie den Dometscher Aleppa gewinnen. Besonders Ziegenbalg gelangte durch ihn bald in den Besitz eines bedeutenden Wortschatzes. Eine tamilische Grammatik verschaffte ihm der Kommandant, der ihm den Aufsatz eines portugiesischen Missionars dazu schickte. Drei Jahre lang ging Ziegenbalg nun darauf aus, nach Möglichkeit keine deutschen oder lateinischen Bücher zu lesen, dafür aber möglichst viele tamilische. Dadurch wollte er immer tiefer in die Sprache, ihren Stil, ihren Gebrauch eindringen. Um ihren Klang kennen zu lernen, ließ er sich die Bücher vorlesen oder er las selbst und ließ sich korrigieren. Damit all dieses Lernen aber nicht vom Leben des Volkes losgelöst wäre, so ging Ziegenbalg immer wieder unter das Volk und lauschte auf ihr Reden, um so ihren Sprachgebrauch immer besser kennen zu lernen und ihre Lebens- und Religionsauffassungen. „Überdies habe ich auch fast täglich einen starken Zuspruch von Malabaren und Mohren, denen ich es niemals abschlagen kann, wenn sie mit mir zu sprechen verlangen, da ich dadurch allenthalben hier herum ganz bekannt geworden bin, also dass nunmehr oftmals einige malabarische Poeten von weitem hierher kommen, um mit mir zu diskurieren und Bekannschaft zu machen.“ (Hallesche Berichte I, S. 15, II, S. 51-53; in: Lehmann, S. 50) So gewann es mit der Zeit eine sehr umfassende Kenntnis der tamilischen Sprache und hatte schon 1708 eine Bibliothek von 150 tamilischen Büchern („Bibliotheca malabarica“, wie er an Francke schrieb).

Aber das Entscheidende war nun, dass es gelang, die Sprache für die biblische Botschaft zu verwenden, sie für die Missionszwecke dienstbar zu machen, sie der umbildenden und heiligenden Kraft des Heiligen Geistes zu unterstellen. Das hieß forschen in dem, was schon von anderen Missionaren vorhanden war – und das war sehr wenig, teilweise auch nicht brauchbar – und dann selbst mehr und mehr zu schaffen, zu erzeugen.

Es ging dabei aber nicht nur darum, die Sprache äußerlich zu erlernen. Nein, immer tiefer Drang Batholomäus Ziegenbalg ein in die Literatur des Volkes, unter dem er arbeiten wollte, den Tamilen. Und das hat einen großen Wert und ist für die missionarische Arbeit bedeutsam, wie Karl Graul schrieb: „Dort findet er den Geist des Volkes kristallisiert; dort lassen sich die herrschenden Gedanken und Neigungen belauschen; dort liegen die Volksirrtümer klar gesponnen an der Sonne, und dort zeigen sich auch am deutlichsten die roten Fäden der Wahrheit, die selbst das lügenhafteste Heidentum durchziehen und dem Boten des Evangeliums willkommene Anknüpfungspunkte gewähren.“ (Plitt/Hardeland, S. 54) Und: Der Missionar ist gewappnet, mit den Menschen zu reden, kennt ihre Literatur, kann, wo es nötig ist, das eine oder andere einfließen lassen. Ziegenbalg ist so auch zum Religionsforscher geworden und hat eine Fülle an religions- und missionswissenschaftlichem Material gesammelt.

Es zeigte sich sehr schnell, dass Ziegenbalg derjenige war, der von Gott in besonderer Weise zum Erlernen der tamilischen Sprache begabt war. So teilten die beiden Missionare am 22. März 1707 die Arbeit, dass nämlich Heinrich Plütschau sich in erster Linie um die portugiesische, Bartholomäus Ziegenbalg sich um die tamilische Mission kümmerte. Sie konnten aber einander aushelfen und wirkten weiterhin als eine Mannschaft. Und sie hatten sehr schnell erkannt, wie wichtig es ist, dass sie als Missionare zusammen im Dienst standen: Denn täglich mussten sie viel mit Ungläubigen umgehen; der Geist droht abzukühlen, zu erschlaffen. Darum war es ihnen schon von der Seereise her wichtig, dass sie allabendlich „Betstunde“ oder Andacht hielten und sich dadurch ermutigten, stärkten. Bald nahmen auch etliche der deutschen Bewohner daran teil.

Das Wichtigste aber war ihnen, dass sie lehrten und predigten, um Gemeinde zu bauen. Dazu sollten ja alle Sprachstudien dienen. Am 16. Juli 1706 hatten sie mit dem portugiesischen Studium begonnen – vom 6. November 1706 an katechisierten sie täglich zwei Stunden in dieser Sprache. Am 3. September 1706 hatten sie mit dem Tamilischen begonnen – und schon am 22. Januar 1707 setzten sie die erste zweistündige Katechese in dieser Sprache an. Das hieß: Sie erteilten Unterricht in der christlichen Glaubenslehre, wozu sie vor allem Luthers Kleinen Katechismus in beide Sprachen übersetzt hatten. Es ging ihnen um eine gründliche Unterweisung. Zur Taufe ließen sie nur solche zu, die wenigstens in den Hauptstücken der christlichen Heilswahrheit eine sichere Erkenntnis hatten. Sie nahmen sie vor der Taufe noch einmal einen Monat besonders zusammen, um ihnen die Heilsordnung und die rechte Art des Christseins einzuprägen. Schon am 5. Mai 1707 konnten sie die ersten fünf portugiesisch sprechenden Menschen, Sklaven der europäischen Familien, in der dänischen Zionskirche taufen. Auf alle mögliche Weise suchten Ziegenbalg und Plütschau den Kontakt zu den Heiden, weshalb sie Reisen unternahmen und predigten, was oft in Gespräche und Diskussionen mündete.

Damit ergab sich nun aber auch die Notwendigkeit, einen passenden Raum für die Gemeindeversammlung zu finden. Vor allem die tamilischen Katechumenen wollten nicht in der Kirche der Europäer getauft werden. So entschlossen sich die beiden Missionare, ein eigenes Kirchlein zu bauen. Mit der kleinen Summe, die sie sammeln konnten und der Hälfte ihres eigenen Gehaltes legten sie am 14. Juni 1707 den Grund für den Ziegelbau und konnten schon am 14. August 1707 die Kirche einweihen, der sie den Namen Neu-Jerusalem gaben. Dies war ein Ereignis für die ganze Stadt: Christen, Moslems und Heiden kamen in großer Zahl. Um im Predigen auf Tamilisch mehr Fertigkeit zu bekommen, hatte Ziegenbalg 26 Predigten über den christlichen Glauben entworfen und seinem tamilischen Schreiber diktiert und dann auswendig gelernt, damit er sie verwenden konnte. Als er dann mehr und mehr mit der Sprache umgehen konnte, konnte er es auch wagen, nach sorgfältiger Meditation tamilisch zu predigen. Sonntags fanden bald drei Predigten statt: frühmorgens und nachmittags auf Tamilisch, am Spätvormittag auf Portugiesisch; mittwochs und freitags kam noch Katechismusunterricht dazu.

Am 15. September 1707 konnten die Missionare die erste Frucht ihrer intensiven Arbeit ernten: Die ersten tamilischen Heiden wurden getauft und empfingen das heilige Abendmahl; einen Monat später fand die erste Trauung statt – und Ende 1707 war schon eine Gemeinde von 35 Seelen gesammelt worden. Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, welche Folgen es für diejenigen Tamilen hatte, die sich zu Jesus Christus bekannten: Sie mussten mit der Feindschaft der anderen Kastenangehörigen rechnen, die sie als Paria ansahen; das Feuer und das Wasser aus dem gemeinsamen Brunnen wurde ihnen versagt; man weigerte sich, den Christen Töchter zur Ehe zu geben; Frauen und Bräute, die Christen geworden waren, wurden vergestoßen. Die Christen wurden aus den Elternhäusern ausgestoßen und als Verstorbene angesehen. – Und trotzdem kam es zur Gemeindebildung! (vgl. Lehmann, S. 68 f.)

Von Anfang an hatten sie daran gedacht, eine christliche Schule zu errichten. Nun wurde es geradezu dringend und im November 1707 begannen sie mit einer portugiesischen und einer dänischen Schule, da auch dänische Eltern sie darum gebeten hatten, und bald darauf auch mit einer tamilischen. „Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass, wenn man gute Christen haben wolle, man fleißig mit dem Wort Gottes an der Jugend arbeiten müsse“, schreibt Ziegenbalg (Plitt/Hardeland, S. 58). Aus den Kindern wollten sie sich einen tüchtigen Gemeindekern und Helfer heranziehen.

Und dann erkannte Ziegenbalg, wie wichtig es für die junge Gemeinde war, dass sie doch Gottes Wort in ihrer eigenen Sprache habe. Aber er merkte, dass er selbst zunächst noch nicht fest und gewandt genug darinnen war, andere kannte er nicht, die gut hätten übersetzen können. So übte er sich weiter im Tamilischen, verfasste einige kleinere Schriften und begann dann schließlich am 17. Oktober 1708 mit der Übersetzung des Neuen Testamentes, und zwar aus dem Grundtext, wobei er noch andere Übersetzungen und Kommentare zu Rate zog, um auch ja das rechte Verständnis zu treffen. Am 31. März 1711 lag das gesamte Neue Testament in tamilischer Sprache vor. Aber nun gab es eine neue Schwierigkeit: Was nutzte die beste Übersetzung, wenn sie nicht gedruckt werden konnte? Eine Druckerei aber für Tamilisch hatten sie noch nicht, nur für das Portugiesische war eine aus England gekommen (damals musste ja alles noch mit den entsprechenden Lettern gesetzt werden). Daher sandten sie nach Halle eine Schrift mit Mustern für die tamilischen Letter – und tatsächlich erhielten sie 1712 die so dringend benötigte Druckerei. Unter den Soldaten hatten sie einen Mann gefunden, der gerne als Drucker in den Dienst der Mission trat. So erschien 1713 in Tamilisch Ziegenbalgs evangelistische Schrift „Vom verdammlichen Heidentum“ und Luthers Kleiner Katechismus, am 25. September 1714 lag der erste Teil des Neuen Testamentes gedruckt vor. Nun konnte im Unterricht und in den Bibelstunden denjenigen, die lesen konnten, der Text gegeben werden.

Ein großes Geschenk für die sangesfreudigen Tamilen war es, als 1715 das erste tamilische Gesangbuch mit 48 Liedern erschien – nun sangen sie sich in die evangelische Wahrheit hinein.

Ausweitung der Arbeit

Der Auftrag, mit dem sie nach Indien gekommen waren, war ja die Mission. Und so hatten sie schon von Anfang an das Bestreben gehabt, mit möglichst vielen Heiden in Kontakt zu kommen. Sie machten Wanderungen in den Ortschaften um die Stadt herum, teilweise auch über die Grenzen des Gebietes der Dänischen Ostindischen Kompanie hinaus, und luden Heiden zu Gesprächen ein. Mit ihren Schülern gingen sie bewusst immer wieder an öffentliche Plätze, um sie dort zu unterrichten und so auch die Aufmerksamkeit anderer Menschen zu erregen. Und als das Kirchlein eingeweiht war, standen Sonntagvormittag bei den Gottesdiensten immer wieder Heiden an der Tür und den Fenstern, die zwar nicht wagten einzutreten, aber doch gerne wissen wollten, was da vor sich geht.

Ziegenbalg wollte auch versuchen, den König von Tandschur (Tanjore) zu besuchen, um mit ihm darüber zu sprechen, ob sie auch in seinem Gebiet missionieren dürften. Um den Menschen dort näher zu kommen, legte Ziegenbalg seine europäischen Gewänder ab und kleidete sich nach Landessitte. Eine Ausdehnung der Arbeit in diese Richtung misslang zunächst, aber an der Küste nach Negapatam und nach Madras hin weitete sich die Arbeit aus. Ziegenbalg hatte dazu einen Brief an die tamilischen Heiden geschrieben und ihnen darin dargelegt, wie sie errettet werden können. Diesen Brief ließ er abschreiben und verteilte ihn unterwegs. Auch andere Schriften und Teile des neuen Testamentes verteilte er.

Wo es möglich war, trat Ziegenbalg auch mit Brahmanen in Kontakt und erklärte ihnen den christlichen Glauben und spann mit ihnen, wenn sich Interesse zeigte, einen Briefwechsel an.

Plütschau kehrte zwar 1711 nach Deutschland zurück, aber Ziegenbalg war entschlossen, sein ganzes Leben der Heidenmission zu widmen. In dem Bericht, den er 1712 dem Schiff nach Deutschland mitgab, schrieb er von 117 getauften Tamilen und 15 Katechumenen; in der portugiesischen Gemeinde waren 35 Getaufte und vier Katechumenen. In den beiden tamilischen Schulen wurden 39, in der portugiesischen Schule 17 und in der dänischen Schule 14 Kinder unterrichtet. 38 Schriften hatte Ziegenbalg inzwischen in der tamilischen Sprache für die Ausbreitung des christlichen Glaubens geschrieben. Außerdem setzten sie 17 portugiesische Büchlein ein, teilweise übersetzt, teilweise selbst geschrieben.

Hindernisse und Schwierigkeiten

Gott hatte große Gnade gegeben, dass die Arbeit so schnell solche Frucht einsammeln konnte. Aber es fehlte auch nicht an Problemen, Schwierigkeiten, Hindernissen, und zwar von Anfang an. Dass die Missionare kommen würden, das wusste man ja in der Kolonie – aber niemand wollte sie eigentlich zunächst haben, nur mit Mühe konnten sie am späten Abend ihres Ankunftstages ein Unterkommen finden. „Wir wurden anfänglich recht niedergeschlagen und fanden, dass alles schon durch das örgerliche Leben der Christen unter diesen Heiden verderbet worden sei. Überdies konnten wir auch genugsam verspüren, dass unsere Ankunft den meisten unter den Christen wegen unsers Vornehmens teils ganz lächerlich vorkam, teils aber ihnen ganz zuwider war.“ (Merckwürdige Nachricht aus Ostindien ..., in: Lehmann, S. 33) Ja, sie mussten erkennen – und wie viele Missionare haben nach ihnen leider die gleiche Erfahrung gemacht –, dass die euopäische Bevölkerung eines der größten Hindernisse für die missionarische Arbeit darstellt. „An unserer Seite ist das Schlimmste, dass die Christen mit einem ärgerlichen Leben wandeln. Daher auch die Heiden mehrmals gekommen sind und haben gesagt: Sollen wir uns zu der Religion begeben, darinnen ja mehr Sünden ausgeübt werden als bei uns? Ja, wir denken nicht anders, als ob die Christen in ihren Kirchen zu solchen Lastern angeführt würden; denn sobald die Kirchen aus sind, sehen wir sie hingehen zum Saufen, Spielen, Tanzen und anderen bösen Dingen.“ (Plitt/Hardeland, S. 65) Daher haben die beiden Missionare bekannt: „Dieses heilige Werk hat unter großem Widerstand und unter vielem Kreuz und Anfechtung seinen Anfang genommen.“ Aber sie wussten, „dass das Evangelium allezeit unter dem Kreuz seinen besten Fortgang hat“. (Hallesche Berichte I, s. 6.7; in: Lehmann, S. 33)

Es ist daher verständlich, dass Ziegenbalg und Plütschau auch an den Europäern eine Aufgabe sahen. Aber sie griffen diese nicht aus eigenem Antrieb an. Erst auf Drängen des Kommandanten und nachdem sie die Zustimmung der dänischen Pastoren eingeholt hatten, richteten sie im Dezember 1707 wöchentliche deutsche Predigten ein. Und doch – dies wurde von den dänischen Pastoren als ein Angriff angesehen, als eine Kritik an ihrer Arbeit. Sie waren von Anfang an den Missionaren gegenüber sehr kühl gewesen – jetzt wurden sie ihre Gegner. Ziegenbalg und Plütschau haben ihrerseits nichts getan, um den Graben zuzuschütten, sondern, nach ihrer Halleschen Vorbildung, sahen sie ja alle, die nicht einen Werdegang nach Franckeschem Muster hinter sich hatten, als „unwiedergeboren“ an und gaben dies auch deutlich zu verstehen. Dazu kam der nationale Gegensatz, der auch bei den Tamilen gesehen wurde, die nun zwischen dem dänischen und portugiesischen Glauben einerseits und dem deutschen Glauben andererseits unterschieden, wobei letzterer erfreulicherweise, durch die Missionare, gut weg kam.

Ein weiteres Hindernis kam von den römischen Katholiken, die es auch zahlreich in der Kolonie gab. Es war wie ein ungeschriebenes Gesetz, dass die protugiesisch sprechenden Diener und Sklaven zur römischen Gemeinde gehörten – und nun kamen Missionare, die sich auch der portugiesisch sprechenden Heiden annahmen. Das weckte Feindschaft.

Plütschau, der die portugiesische Gemeinde bediente, versuchte, die lutherisch getauften und unterwiesenen Sklaven in der Kolonie zu halten, um sie dort fördern zu können. Er stellte deshalb, in Anlehnung an eine alttestamentliche Praxis, den Grundsatz auf, dass lutherische Sklaven nicht unter ein fremdes Volk verkauft werden durften. Aber der Kommandant und andere Einwohner verkauften nun gerade Sklaven nach draußen, wo sie nicht mehr betreut werden konnten. 1708 kam es sogar so weit, dass Plütschau vor Gericht gezogen wurde, weil er sich des Kindes eines Dänen und einer Heidin angenommen hatte, das der römische Priester gegen den Willen des Vaters römisch getauft hatte.

Hier wird deutlich, dass gerade auch von Seiten der Behörden manche Schwierigkeiten kamen. Behörde oder Obrigkeit war dort zunächst einmal das Direktorium der Dänischen Ostindischen Kompanie. Sie hatte es gar nicht gerne gesehen, dass der König die Missionare gesandt hatte. Diesem Direktorium unterstand der Kommandant, damals Johann Sigismund Hassius, ein zwar kluger, aber sehr heftiger, unbeherrschter Mann, der zu gewalttätigen Übereilungen neigte. Ihm zur Seite stand ein Sekretariat von vier Personen. Der Kommandant hatte von der Kompanie Anweisung bekommen, die Missionare zu überwachen und nicht zu fördern.

Dennoch war er ihnen anfangs wohl nicht abgeneigt; aber der römische Priester stand bei ihm in hoher Gunst – und als der Streit zwischen ihm und den Missionaren losbrach, da nahm Hassius Partei. Und die nun aufkommende Abneigung wuchs über die Jahre immer mehr. So suchte er lange Zeit, den Bau der Missionskirche zu hintertreiben. Als Plütschau ihn daraufhin indirekt in einer Predigt rügte, erschien Hassius am Nachmittag im Missionshaus und wurde gegen Ziegenbalg tätlich. Allerdings war es unklug von den beiden Missionaren, in den misslichen Verhältnissen es immer besonders herauszukehren, dass sie „königlich dänische Missionare“ seien und somit eine besondere Vollmacht durch den dänischen König hätten und drohten, den Kommandanten bei „ihrem lieben König“ zu verklagen. Ziegenbalgs alter Mensch, der auch schnell zur Heftigkeit neigte, tat noch manch Übriges, die Spannungen zu erhöhen, so dass selbst die Unterstützer in Halle ihn zur Mäßigung riefen.

Die Spannungen steigerten sich so sehr, dass der Kommandant, ohne irgendeinen Rechtsgrund, Ziegenbalg, in dem er seinen Feind sah, am 19. November 1708 aus seiner Wohnung abholen und ohne Urteilsspruch in ein Gefängnis werfen ließ, „ein Schwitzloch neben der Küche, da er von der Küchen- und Sonnenhitze aufs äußerste incommodiert wurde, was in diesem Lande capabel ist, einen Menschen ganz auszumergeln“ (Lehmann, S. 111), wo er bis zum 26. März 1709 unter strengster Bewachung schmachten musste. Selbst das Sekretariat folgte dem Kommandanten in dieser Sache nicht, konnte aber nichts ausrichten, außer, dass es nie zu einem Verhör kam.

Neue Mitarbeiter – neue Probleme

Als am 20. Juli 1709 Schiffe aus Europa in Tranquebar eintrafen, brachten sie Geld vom dänischen König und erstmals auch Missionsspenden aus Halle mit, dazu als besonderes Geschenk der Franckeschen Stiftungen in Halle eine Apotheke, die einfach zu bedienen sei und keine besonderen medizinischen Kenntnisse erfordere. Vor allem, und das war das Wichtigste, kamen mit den Schiffen drei neue Missionare nach Trankebar: Ernst Gründler, Polykarp Jordan und Johann Georg Bövingh. Die ersten Nachrichten aus Indien hatten den König dazu bewegt, das Werk intensiv fortzusetzen. Er hatte Lütkens aufgefordert, weitere Missionare auszuwählen und zu senden. Er hatte sich, nachdem er zunächst in Dänemark gesucht hatte, dann wieder an seine Berliner Freunde gewandt, die ihrerseits bei August Hermann Francke vorsprachen, der ihnen Ernst Gründler aus Weißensee in Thüringen vorschlug. Mit ihm ging auf eigene Rechnung der schon etwas ältere Student Polycarp Jordan aus Mecklenburg hinaus. Johann Georg Bövingh aus Westfalen war von Lütkens, der ihn in Kopenhagen kennen und schätzen gelernt hatte, vorgeschlagen worden.

Leider war aber die Freude über die neuen Mitarbeiter nicht ungetrübt. Schon auf der Seereise der neuen Missionare war eine deutliche Differenz unter ihnen hervor getreten, die damals ja überhaupt die lutherische Kirche erschütterte: das Ringen zwischen der lutherischen Orthodoxie und dem Pietismus. Gründler meinte, alle auf die Hallesche Form des Christentums bringen zu müssen und sprach Bövingh, der sich in diese Form nicht zwängen lassen wollte, daraufhin die Wiedergeburt ab. Da auch Ziegenbalg und Plütschau die Halleschen Gedanken vertraten, war Bövingh unter den Missionaren isoliert, was zu erheblichen Spannungen führte. Auch zeigte es sich bald, dass Bövingh nicht so recht zum Missionsdienst taugte. Er tat sich ungeheuer schwer mit der tamilischen Sprache und hatte keine rechte Freude zum Unterricht an den Kindern.

Zugleich trat aber auch ein weiteres Problem deutlich hervor: Je mehr die Zahl der Missionare anwuchs, umso deutlicher wurde es, dass sie auch auf dem Missionsfeld eine Leitung brauchten, einen Direktor oder Missionssuperintendenten. Sowohl Bövingh als auch Ziegenbalg schrieben darüber nach Europa.

Vor allem aber verschlechterte sich wieder die äußere Lage von Seiten des Kommandanten und der Ostindischen Kompanie. Selbst ein königliches Schreiben aus Dänemark konnte die Sache nicht verbessern. Der Kommandant zeigte den Missionaren – Plütschau war 1711 in die Heimat zurück gekehrt, Bövingh nach Bengalen gegangen – die Anweisungen und Verweise der Kompanie, die deutlich machten, wie sehr von dieser Seite gegen die Mission gearbeitet wurde. Ziegenbalg war daraufhin entschlossen, nach Europa zu reisen, um in Dänemark selbst die äußeren Umstände für die Mission zu verbessern und auch eine Missionsleitung auf dem Missionsfeld herbei zu führen. Am 26. Oktober 1714 trat er die Reise an.

Ziegenbalgs Europareise

In Europa hatten sich die Dinge für die Mission auch nicht gerade zum Besten entwickelt. Das Ringen zwischen Orthodoxie und Pietismus ging unvermindert weiter – und die Art und Weise, wie Ziegenbalg und seine Mitstreiter Plütschau und Gründler ihre Missionsbriefe abfassten, war nicht dazu angetan, die Mission aus diesem Streit heraus zu halten. Leider gab es im Bereich der Orthodoxie nicht nur Männer wie den fein geistlich gesinnten Valentin Ernst Löscher, der bei allen Vorbehalten gegen manche Sachen doch die Mission an sich befürwortete und auch die Missionsbriefe in den „Unschuldigen Nachrichten“ veröffentlichte, sondern auch Stimmen, die von der Mission ganz abrieten. Dänemark war durch den Nordischen Krieg, durch Überschwemmung und Pest sehr gebeutelt. Der König hatte 1712 auch zwei Edikte gegen den Pietismus erlassen, die eigentlich bedeutet hätten, die Missionare abzuberufen. Aber tiefgreifende theologische Erkenntnisse besaß der König nicht, und „seine“ Missionare waren ihm zu kostbar. Er dachte gar nicht daran, sie abzuberufen. Im Gegenteil, und das war günstig für die Mission, er sprach ihr „für ewige Zeiten“ eine jährliche Einnahme von 2000 Reichstalern zu, die aus den Posteinkünften finanziert werden sollte. Dies war die letzte Freude für Lütkens. Er starb am 12. August 1712. Zu seinen Nachfolgern ernannte der König den Propst und Professor Lodberg und den Professor Trellund, beide theologisch nicht unbedingt den Missionaren zugeneigt. Die Oberleitung über die Missionsgeschäfte aber sollte der Geheimrat von Holsten bekommen.

Als nun gar, gegen seinen Willen, Briefe und ein Tagebuch von Bövingh veröffentlicht wurden, schien der Mission der Wind sehr ins Gesicht zu blasen. Aber wie wunderbar führte es doch der Herr – zwei Tage nach dem Heimgang von Lütkens traf Plütschau in den Niederlanden ein und im Januar 1713 stand er vor dem König in Friedericia und konnte ihm ausführlich Bericht geben. Der König stellte sich ganz auf die Seite der Mission und wies auch die Ostindische Kompanie an, dem Kommandanten jegliche Gewalttätigkeit gegen die Missionare zu untersagen.

So ging es mit der Mission in einem Augenblick, als sie fast am Boden zu sein schien, wieder aufwärts. Von 1713 an ließ sich der König beim Ankleiden die Missionsberichte vorlesen und erhielt so einen tieferen Einblick in das Werk, auch in die Nöte und Wünsche der Missionare, und erließ dann manche praktische Anweisungen. Allerdings dauerte es immer sehr lange, bis sie Indien erreichten, sonst wäre die Reise Ziegenbalgs gar nicht mehr nötig gewesen.Von Holsten schrieb über die Wendung der Dinge an Francke: „S. Majestät ist durch die gedruckten Nachrichten und die hier vorhandenen Briefe der Missionare so erweckt, dass sie seitdem mit der größten Freude und Vergnügen von diesem Werke sprechen. Ich preise in meinem Herzen Gott wegen dieser schleunigen und unvermuteten Hilfe und Aufmunterung des Geistes unsers allergnädigsten Königs und zweifle nicht mehr, es werde sich alles Übrige auch schon finden müssen.“ (Plitt/Hardeland, S. 88)

Die beiden Inspektoren beabsichtigten, in Kopenhagen ein Missionsseminar einzurichten, das unter der Leitung Plütschaus stehen sollte, und an dem dieser die Kandidaten in den notwendigen Sprachen unterweisen sollte. Allerdings wollte man nur Dänen dort ausbilden. So gut und richtig und wichtig ja die Einrichtung eines solchen Seminars auch war, diese Ausrichtung war sehr zweifelhaft. Aber auch hier griff Gott ein. Die beiden dänischen Seminaristen, die Plütschau unterweisen musste, lernten so schlecht und machten bei ihren Predigten vor dem König so einen schlechten Eindruck, dass der König selbst entschied, dass sie nicht ausgesandt würden. So war diese Sache erledigt, denn weitere Kandidaten meldeten sich nicht. Plütschau selbst nahm bald darauf eine Pfarrstelle in Beidenfleth bei Itzehoe an.

Dafür aber kam es in der Leitung der Mission zu entscheidenden Änderungen. Im September 1714 ernannte der König Ziegenbalg zum Propst und gab ihm damit das Ordinationsrecht. Damit war für das Missionsfeld eine einheitliche Leitung hergestellt. Aber auch in der Heimat kam es zu wichtigen Veränderungen. Nachdem sein Versuch, dänische Seminaristen heranzuziehen, gescheitert war, trat Trellund als Inspektor zurück. Lodberg blieb zwar im Amt, wünschte aber, dass die Leitungsstruktur verändert würde. Und so wurde ein Missionskollegium errichtet, dessen Vorsitzender der Geheimrat von Holsten wurde, Schriftführer ein Herr Wendt, der dem Missionsgedanken schon lange sehr freundlich gegenüber stand. Damit war endlich ein Gremium geschaffen, durch das die Mission in der Kirche Heimatrecht bekommen hatte. Und es sollte nicht nur für die Mission in Indien verantwortlich sein, sondern für die Mission unter allen Heiden, die unter der Herrschaft Dänemarks standen. Außerdem wollte es zur Speerspitze der lutherischen Kirche in der missionarischen Arbeit überhaupt werden und rief zur sonntäglichen Fürbitte für die Mission auf. Zu korrespondierenden Mitgliedern in Deutschland ernannte es drei Grafen Reuß und einen Grafen Henkel. Vor allem erkannte es, wie wichtig die geistliche Belebung der Kirche in der Heimat ist, soll sie für die Mission wirklich sich einsetzen können.

Um der Mission neue Mitarbeiter zu verschaffen, sollte an der Universität eine Abteilung mit 16 Stellen für Missionsstudenten geschaffen werden, Kandidaten, die vom Missionskollegium ausgewählt worden waren und später in die Mission gehen sollten.

So waren also die Verhältnisse überraschend sehr günstig geworden, als Ziegenbalg am 1. Juni 1715 in Bergen wieder europäischen Boden betrat. Mit schweren Sorgen hatte er sich auf die Reise gemacht – und nun fand er viele der Dinge, die ihn bedrückt hatten, schon geregelt. Aber es bleib noch manches zu tun. Besonders war da die Bedrohung der Arbeit durch die Ostindische Kompanie. Hier setzte sich Ziegenbalg sehr ein, dass ihr gewehrt würde. Das Missionskollegium unterstützte ihn in seinem Bemühen. Schließlich konnte ein Fortschritt erreicht werden, nachdem gedroht worden war, den König selbst einzuschalten.

Ziegenbalgs Aufenthalt zeigte günstige Frucht aber auch darin, dass er mancherlei Vorurteile, die gegen ihn gehegt wurden, durch den persönlichen Kontakt ausräumen konnte.

Nachdem er in Dänemark alle wichtigen Dinge geregelt hatte, machte sich Ziegenbalg auf den Weg nach Deutschland, da ihm deutlich vor Augen stand, wie wichtig gerade die deutschen Missionsfreunde für den Fortgang des Werkes in Indien waren, denn von Dänemark konnte er finanzielle Unterstützung über die zugesagten 2000 Reichstaler hinaus nicht erwarten. In Hamburg und Straßburg fanden sich willige Geber; in Württemberg wurde auf Betreiben des Hofpredigers Samuel Urlsperger eine Kollekte für die Mission gesammelt. Am wichtigsten aber war der Aufenthalt in Halle. August Hermann Francke stand Ziegenbalg sehr kritisch gegenüber und hatte wiederholt betont, dass er ihn nicht als Missionar entsandt hätte. Er erinnerte sich dabei an den heftigen Charakterzug Ziegenbalgs. Nun aber trat ihm ein anderer Mann entgegen, gereift unter den Schlägen der letzten Jahre, geschliffen schließlich noch auf der zurückliegenden Reise, ein Mann, der nun ruhig und maßvoll auftrat. Zudem zeigte seine bisherige Arbeit, dass er ein tüchtiger Missionar war. Francke und Ziegenbalg traten einander näher, so dass Ziegenbalg mit Recht die Hoffnung hatte, dass gerade Halle die Arbeit auch in Zukunft kräftig unterstützen werde.

So konnte Bartholomäus Ziegenbalg am 4. März 1716 getrost und freudig das Schiff besteigen, das ihn nach Indien zurück bringen sollte. Die Hindernisse in Indien waren beseitigt; die Hindernisse in der Heimat waren hinweg; dazu waren gute persönliche Kontakte geknüpft worden, die für die weitere missionarische Arbeit wichtig waren. Schon am 10. August traf er in Madras ein; und die Nachricht davon verbreitete allgemeine Freude in Tranquebar. Mit dem Schiff kam auch die Urkunde, die den bisherigen Kommandanten abberief und an seine Stelle einen Mann setzte, von dem man wusste, dass er gegenüber der Mission freundlich gesinnt war. So schien alles vorbereitet, dass die Missionsarbeit aufblühen konnte.

Fortgang der Missionsarbeit in Indien

Während Ziegenbalgs Abwesenheit war Gründler fast gar nicht zur missionarischen Arbeit in der Umgebung gekommen, da er genügend in Tranquebar zu tun hatte. Und auch jetzt nahm diese Arbeit sehr viel Kraft und Zeit in Anspruch, denn sie nahmen den Katechumenenunterricht sehr ernst Die reine Gedächtnisarbeit überließen sie ja den einheimischen Katecheten, aber den tiefergehenden Unterricht, den führten die Missionare selbst aus und tauften erst nach gewissenhafter Prüfung. Aber sie wussten, dass selbst damit die Arbeit noch nicht getan war, sondern noch viel Prägung geschehen musste.

Während sie sich diese wichtige Arbeit selbst vorbehielten, so hofften sie doch, die Katecheten als Evangelisten unter ihrem eigenen Volk einsetzen zu können. Ja, das Ziel war von Anfang an, einheimische Prediger auszubilden. Auch dazau diente die intensive schulische Arbeit. Aber sie sollte auch der Mission direkt zugute kommen, hoffte man doch, über die Kinder, die einen gründlichen Religionsunterricht empfingen, auch die Eltern zu erreichen.

Zu all diesen Zwecken wollte man daher nicht nur Grund- oder Elementarschulen, sondern auch höhere Lehranstalten. Gründler schrieb dazu 1715: „Es soll mit den großen Knaben unserer Schule nunmehr ein collegium biblicum und ein theologicum angefangen werden, damit sie dadurch mehr und mehr zu dem Missionarsamt präpariert würden, so es Gott gefallen möchte, sie dazu zu gebrauchen.“ (Plitt/Hardeland, S. 97) Am 23. Oktober 1716 wurde nun mit acht tamilischen Jungen der Anfang eines Seminars gemacht, in dem sie vorbereitet werden sollten, um dann, wenn sie sich als Katecheten und Lehrer bewährt hatten, sie zu Predigern zu ordinieren.

Und noch ein weiterer Zweig der schulischen Arbeit wurde eröffnet, nachdem Gründler schon 1715 erste Schritte in diese Richtung unternommen hatte: Sie eröffneten in Tranquebar eine sogenannte ‚Freischule’ nach englischem Vorbild. Der Unterricht sollte frei, unentgeltlich sein, einschließlich der Bücher und dem Schreibmaterial, und die Eltern hatten die Freiheit, selbst dem Unterricht beizuwohnen. Unterrichtet wurden Lesen, Schreiben, Rechnen, Tamilisch und Portugiesisch, die Grundlehren des Christentums und der Medizin. Als ein entsprechender Aufruf in Tranquebar erlassen wurde, war der Erfolg verblüffend: Gleich am ersten Tag kamen 14 Kinder, nach vier Monaten war die Zahl auf 70 gestiegen. Der Ruf der Schule verbreitete sich im ganzen Land, so dass selbst von auswärts Kinder geschickt wurden. Die Einrichtung, besonders dass sie kostenlos war, rief große Bewunderung und Achtung hervor. Nur eines störte die Einheimischen: dass Ziegenbalg und Gründler die Kasten nicht trennten, sondern vermischten. Das geschah allerdings von den Missionaren absichtlich, um so den Kastengeist zu brechen.

Der Ruf der Schule gelangte sogar bis nach England, wo man wünschte, solche Schulen auch im britischen Gebiet Indiens aufzubauen und sich deshalb an Gründler wandte. Im Februar 1717 traf sich Gründler mit dem Prediger William Stevenson und dem englischen Gouverneur in Kudelur, wo dann im Juli nach dem Vorbild der Schule in Tranquebar eine Schule eröffnet wurde, dann auch in Madras. Die Lehrer waren in Tranquebar ausgebildet und standen weiter unter Aufsicht der dänisch-lutherischen Mission und wurden von Ziegenbalg besucht.

Aber dann kam es zu einem Rückschlag. Als die Eltern merkten, dass ihre Kinder christliche Bücher lasen, christliche Erkenntnis bekamen, zu beten anfingen, nahmen viele Eltern ihre Kinder wieder aus der Schule heraus. Und die Schulen mit den einheimischen Lehrern gediehen gar nicht gut. Es fehlte momentan noch die unmittelbare Aufsicht durch die Missionare. Aber dazu hätte die Missionsmannschaft größer sein müssen. Und durch die Schulen in Kudelur und Madras entstanden auch dort Kontakte, schon 1717 meldeten sich in Madras Katechumenen zum Taufunterricht. Man benötigte unbedingt mehr Missionare, um auch die Außenstationen betreuen und ausweiten zu können.

Tranquebar, das war Ziegenbalg klar, sollte aber der Ausgangs- und Mittelpunkt der missionarischen Arbeit bleiben. Um die dortige Gemeinde bemühte er sich besonders. Dabei wurde deutlich, dass der bisherige Kirchraum nicht mehr ausreichte, die Gemeinde war zu groß geworden. Mit dem Gedanken an einen Neubau hatte er schon die Reise nach Europa angetreten und dort auch Gelder dafür gesammelt. Als er bei seiner Rückkehr von Madras kommend über Sadras kam, sah er schon, wie dort mit Genehmigung des niederländischen Gouverneurs Quadersteine gebrochen wurden. Am 9. Februar 1717 wurde der Grundstein zu der neuen Jerusalemkirche gelegt und am 11. Oktober 1718 konnte Ziegenbalg sie einweihen. In dieser Kirche wurde auch ein Beichtstuhl aufgerichtet – trotz der Einwände der pietistischen Freunde Ziegenbalgs. Mehr und mehr hatte Ziegenbalg erkannt, wie weise diese lutherische Einrichtung ist und wie sie gerade der Erziehung der Menschen im christlichen Glauben und Leben dient. Auch in der Ordnung und Einrichtung des Gottesdienstes hielt er sich weitmöglichst an den lutherischen kirchlichen Brauch. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass die Einrichtungen und Ordnungen der Kirche gut waren und es nicht an ihnen lag, wenn sie nicht überall das leisteten, was man von ihnen erwartete. Ziegenbalg erreichte auch, dass durch eine königliche Verordnung im Februar 1717 ein Konsistorium für die Missionskirche unter dem Vorsitz des Kommandanten eingerichtet wurde, das die Kirchenzucht zu üben hatte. Die Neu-Jerusalem-Kirche in Tranquebar steht heute noch und wird benutzt; sie ist die älteste noch erhaltene lutherische Kirche Indiens, die für Inder erbaut worden und stets Gemeindekirche der Tamilen gewesen ist.

Aber gerade all diese Einrichtungen und Bemühungen Ziegenbalgs brachten nun eine neue Gefahr für ihn und die Mission: Die pietistischen Missionsfreunde in der Heimat waren mit dem gesamten Kurs der Mission nicht einverstanden. Sie wollten das, was sie eine „apostolische Mission“ nannten. Hier wurde wieder der gesetzliche Charakter des Pietismus deutlich und seine starken Anleihen bei den Reformierten, mit dem Hang, alles, was in der Bibel beschrieben ist über das Leben der neutestamentlichen Gemeinde und der damaligen Mission zum Gesetz zu erheben und daraus eine „neutestamentliche Gemeindeverfassung“, „neutestamentliche Mission“ und ähnliches zu bilden. Es ist dies eine falsche „Geistigkeit“ oder Schwärmerei, die da aufbricht und alles „Leibliche“ misstrauisch beäugt (steckt hier nicht auch das Problem der Reformierten dahinter, das sie mit der Menschwerdung Christi haben und der Tatsache, dass sie die Gemeinschaft der Naturen nicht recht fassen?) Man vergaß auch völlig, dass die Apostel selbst etwas völlig Einmaliges waren, wie auch die apostolische Epoche eine einmalige Epoche in der Kirchengeschichte.

Die Missionsfreunde waren nicht einverstanden mit der Verwendung der Gelder, mit den vielen Gebäuden, die aufgerichtet wurden. Ja, sie meinten, die Missionare sollten hauptsächlich von Ort zu Ort ziehen und predigen und alles andere den Christen selbst überlassen. Wendt, der Sekretär der Missionskommisson und eifriger Förderer des Werkes gehörte zu den Häuptern dieser Gegner und äußerte sich so: „Mit einem solchen System von Bequemlichkeit dieses Lebens und menschlichen Hilfsmitteln lässt sich nicht weit kommen; es hält mehr auf als es fördert. Der Mann, der der Erstling ist des erlösten Menschengeschlechts und an seinem Teile gewiesen hat, wie es mit den Übrigen erfolgen solle, hat sich jedes Dinges geäußert, auch in seinen ersten Gliedern, den Jüngern und Aposteln, ein Muster gegeben, wie man ihm gleich werden müsse und mit der Fülle des Geistes durchdringen, wenn man Seelen von der Welt zu Gott, zum himmlischen und geistlichen Sinn, zur Seligkeit bringen wolle. ... Ein großer Vorteil an der Mission ist es und hat man Gott herzlich zu danken, dass er den Missionaren noch immer eine neue Tür nach der anderen eröffnet, auch auf auswärtigen Plätzen, und wolle Gott seine Barmherzigkeit lassen immer weiter ausbrechen. Sollten aber zu den neuen Plätzen immer neue Fundationen [Immobilien] hinzu kommen müssen, dass Kirchen und Schulen von Geldern aus Europa gebaut und Kirchen- und Schulbediente von Missionaren erhalten werden, so wird die Mission in wenig Plätzen beschlossen werden und der Lauf des Evangeliums bald gehemmt werden. Asia muss sich in externis [in den Äußerlichkeiten] selbst helfen können ohne Europa und muss aus Europa nur das Göttliche und Himmlische haben, das Wort Gottes und das göttliche Leben, oder es wird nichts draus. ... Geld zu Kirchen, Essen und Trinken soll Europa nicht in Asiam senden, das wird allzu weitläufig ... Wird’s nicht so, dass erstlich Gemeinden gesammelt und durch die Lehre Christi ein solcher Sinn in sie kommt, dass sie die externa selbst besorgen, so ist nicht Deutschland noch England noch Dänemark capabel [fähig] dazu, und wenn es auch wäre, gehets doch nicht an, es wird nichts daraus.“ (Plitt/Hardeland, S. 102 f.)

Diese Vorwürfe waren hart. Sie kamen zum Teil, wie gesagt, aus einem gesetzlichen Denken. Teilweise aber sehen wir sie heute, nach dreihundert Jahren neuerer Missionsgeschichte, nicht mehr als so verkehrt an. Die Frage der Selbstversorgung der Gemeinden ist schon im 19. Jahrhundert ein bedeutendes Thema geworden und hat die missionarische Arbeit in China und Korea zu einem nicht geringen Teil geprägt. Der presbyterianische Missionar John Livingston Nevius nennt unter anderem als Grundlagen für die Missionsarbeit: Unabhängigkeit der Stationen von finanziellen Starthilfen und Zuschüssen von Anfang an; Selbständigkeit der entstehenden Gemeinden gegenüber der Mission; Verantwortlichkeit nur gegenüber der entstehenden einheimischen Kirche; ehrenamtliche Stationsleitung durch Einheimische; natürliches Zeugnisgeben aller Christen; intensives Bibelstudium aller Stationsmitglieder, um sie zu selbständigem christlichen Leben und Zeugnis zu führen. (siehe: John Livingston Nevius: Die Gründung und Entwicklung missionarischer Gemeinden. 2. Aufl. Bonn 2001. mission classics. Bd. 4. S. 10 f.) Dass hier die weitere Praxis in Indien von diesen Gesichtspunkten her zu hinterfragen ist, hat die spätere Zeit gezeigt, nämlich dass die entstandenen Gemeinden dann, als in Europa der Rationalismus einbrach und kaum noch Missionare kamen, nicht selbständig waren und nicht eigenständig existieren konnten.

Die Missionsfreunde versuchten mit allen Mitteln, ihre Ansichten durchzusetzen und hielten die Gelder zurück, die für die Mission gegeben worden waren oder verwendeten sie zu ganz anderen Zwecken. Zwei Jahre lang bekam Ziegenbalg aus Europa überhaupt keine Gelder. Ziegenbalg machte in einer Antwort auf die Vorstellungen aus Europa darauf aufmerksam, dass sie in der Heidenmission gezwungen seien, sich mit vielen Äußerlichkeiten zu beschäftigen, da sie anders nicht an die Menschen heran kämen. Er musste sich dabei auch gegen Angriffe verwahren, die ihm und Gründler vorwarfen, dass sie sich verehelicht hatten. Er machte auch darauf aufmerksam, dass sie durch die vielen äußerlichen Dinge, um die sie sich zu kümmern hätten, keinerlei persönliche Vorteile, sondern nur Lasten hätten, die sie aber um des Missionswerkes willen auf sich nähmen.

Es war auch keineswegs so, dass Ziegenbalg sich den Ansichten Wendts völlig verschloss. Das Ziel der Selbständigkeit der Gemeinden hatte er auch, meinte aber beachten zu müssen, dass die meisten Glieder aus den untersten Schichten kamen und man ihnen überhaupt erst einmal helfen müsse, auf eigenen Füßen zu stehen und nicht von der Armenkasse zu leben.

Andererseits waren die Bedenken der Missionsfreunde auch nicht in allem unberechtigt, denn dass die Mission anfing, Manufakturen zu betreiben, war nicht ihre Aufgabe und führte auch nicht weiter.

Aber die Gewalt, mit der von Kopenhagen aus versucht wurde, die eigenen Ansichten durchzusetzen, bedrohten die Mission insgesamt. Ziegenbalg wurde in seinem Gemüt sehr gedrückt und seine Gesundheit angegriffen. Sein altes Unterleibsleiden griff ihn Ende 1718 wieder an – und er sollte von ihm nicht mehr genesen. Anfang Februar 1719 übergab er die Leitung der Mission Gründler und versammelte am Sonntag darauf die tamilische Gemeinde um sein Bett, um sich von ihr zu verabschieden und ermahnte sie zur Beständigkeit im Glauben. Kurz vor seinem Ende, nachdem er das heilige Abendmahl empfangen hatte, bekannte er: „O, wie gern möchte ich bei Christus sein; der Herr mache mich durch sein Blut rein von allen Sünden und mit seiner Gerechtigkeit bekleidet lasse er mich von dieser Erde in sein Reich eingehen!“ (Plitt/Hardeland, S. 107.) Am 23. Februar 1719 entschlief er und wurde am Tag darauf unter dem Wehklagen der Gemeinde vor dem Altar der von ihm erbauten Jerusalemkirche beigesetzt. Seine junge Frau ließ er mit zwei kleinen Söhnen zurück, der jüngste starb zehn Wochen nach dem Vater; fünf Monate nach seinem Tod gebar seine Frau noch einen dritten Sohn, der aber auch noch in Tranquebar starb. Zur Zeit von Ziegenbalgs Heimgang zählte die tamilische Gemeinde etwa 250 Seelen, darunter 140 Sudras, die restlichen Parias, niemand aus der Kaste der Brahmanen.

Damit ist ein Bereich angesprochen, der für die Mission in Indien besonderes Gewicht hatte, aber auch zeigt, wie mit dem Herkommen in den heidnischen Völkern umzugehen ist, gemeint ist die Kastenfrage. Viele, wenn sie erstmals davon hören, auch Ziegenbalg und Gründler, verwerfen diese Ordnung völlig und wollen sie radikal abgeschafft wissen. Wenn sie sich dann aber intensiver mit ihr beschäftigt haben, wie es Ziegenbalg bei seinem Studium der Landeskultur tat, dann gelangen sie zuweilen zu ähnlichen Auffassungen wie Ziegenbalg, dass nämlich die Kasteneinteilung ursprünglich keine religiöse Sache ist, sondern eine soziale und nationale und erst nachträglich noch religiös verbrämt wurde. Er musste auch erkennen, dass die Versuche, die Kaste innerhalb der christlichen Gemeinde von vornherein völlig abzuschaffen, nicht durchführbar waren, sondern dies eines langen Lernprozesses bedurfte. Auch erkannten die Missionare, dass die völlige Abschaffung der Kaste, etwa des getrennten Sitzens in der Kirche, die Heiden von der christlichen Gemeinde abstieß. Da sie die Kaste als eine bürgerliche Ordnung erkannten, so konnten sie mit ihr leben, wenn auch mit dem Ziel, sie zu überwinden. So hatten sie getrennte Sitzplätze in der Kirche, aber bei den kirchlichen Handlungen, etwa dem heiligen Abendmahl, kamen sie alle zusammen. In den christlichen Schulen wurde bei den Kindern in Tranquebar kein Unterschied gemacht, aber als man in die Dörfer kam, musste man unterschiedliche Schulen für die verschiedenen Kasten bauen oder zumindest sie in unterschiedlichen Räumen unterrichten, vor allem, als man weiter ins reine Heidenland vordrang. Es gibt also durchaus Dinge, die, wenn sie nicht wirklich religiöser Natur sind, zwar nicht unbedingt auf Dauer gehalten werden müssen, aber auch, um die Mission nicht zu hindern, nicht sogleich aufzugeben sind, weil sie mit der Kultur des Volkes zusammen hängen.

Bartholomäus Ziegenbalg als Pioniermissionar

Mit Ziegenbalg und Plütschau waren die ersten lutherischen Missionare ausgesandt worden. Sie hatten keine Vorbildung für den Missionsdienst gehabt und konnten auch von der Missionsarbeit anderer Kirchen nicht viel lernen. Dennoch hat Ziegenbalg durch Gottes Gnade unter Leitung des Heiligen Geistes einen Weg beschritten, mit dem er wichtige Maßstäbe gesetzt hat, die ihn in besonderer Weise als Pioniermissionar auszeichnen und auch für die Missionsarbeit bis heute wichtig sind:

Der erste und wichtigste Grundsatz ist auch der selbstverständlichste – sollte man meinen, aber mit dem immer mehr um sich greifenden Abfall der Kirche von Gottes Wort ist ja die tatsächliche Mission der Sozialarbeit gewichen –: nämlich dass das Ziel aller Missionsarbeit sein muss, dass die Menschen zum lebendigen Glauben an Jesus Christus als ihren Heiland kommen und dass sie dazu auch gründlich in den christlichen Grundlehren zu unterweisen sind. Diese Menschen sind dann in örtlichen Gemeinden und Gemeindeverbänden zusammen zu fassen.

Damit es aber überhaupt dazu kommen kann, müssen die Missionare die Sprache der Einheimischen erlernen, müssen sich darüber hinaus auch mit dem Leben, der Kultur, der Literatur (soweit vorhanden) und der Religion und dem Brauchtum der Menschen beschäftigen, damit sie diese Menschen besser verstehen können und damit sie erkennen, was in einer christlichen Gemeinde als einer Gemeinde in dem jeweiligen Volk an nationalem Brauchtum beibehalten werden kann und was um des christlichen Glaubens willen zu verändern ist. Dabei hatte sich etwa in der Kastenfrage gezeigt, dass es weise ist, selbst solche Dinge, die nicht der Bibel widersprechen, aber nicht gut sind, nicht sofort zu ändern, wenn dies der weiteren Arbeit hinderlich sein könnte.

Eng mit dem Aufbau einer einheimischen Kirche einher geht, dass die einheimischen Christen die Bibel in ihrer eigenen Sprache benötigen. Das ist sicher das Wichtigste, was die Missionare nach dem Erlernen der Sprache neben der Missionspredigt zu tun haben. Ebenso ist auch eine christliche Literatur wichtig und ein Gesangbuch in der einheimischen Sprache.

Ziegenbalg hatte auch früh erkannt, dass es für die missionarische Arbeit wichtig ist, sich der Kultur und dem Leben der Menschen so weit wie möglich anzupassen, wie er es etwa mit der Kleidung tat.

Für die Bildung einheimischer Gemeinden notwendig ist es, dass aus den einheimischen Christen Männer herangezogen werden, die zum Predigtdienst ausgebildet werden, damit die einheimischen Gemeinden durch einheimische Prediger bedient werden und einheimische Evangelisten ihrem eigenen Volk das Evangelium bringen. Schon Ziegenbalg hat ja, wenn er auch noch nicht das Ziel erreichte, so es doch im Auge gehabt, dass die einheimische Kirche selbständig sein sollte. Wichtig ist dabei, dass auf eine gründliche Unterweisung Wert gelegt wird – und dass die jungen Gemeinden selbst angeleitet werden, alle Christen, Zeugnis ihres Glaubens abzulegen und die Missionsarbeit an ihrem eigenen Volk – und auch an anderen – selbst in die Hand zu nehmen.

Es hatte sich auch bald gezeigt, dass die Mission Sache der ganzen Kirche sein muss und dass sie daher ein Kollegiums in der Heimatkirche benötigt, das dort die Arbeit koordiniert, auch für ein Missionsseminar sorgt und eine gründliche Vorbildung der auszusendenden Missionare. Auf dem Missionsfeld selbst aber ist die Arbeit, wenn sie wächst, auch zu ordnen, auch das Verhältnis der Missionare zu der werdenden einheimischen Kirche zu klären.

Als ein wichtiger und bedeutender Zweig der Missionsarbeit hat sich von Anfang an die Schularbeit herausgestellt. Christliche Schulen stellen eine wichtige Grundlage dar, um Menschen für den Glauben zu gewinnen, Kontakte herzustellen, Gemeinde zu bauen.

Die Tranquebar-Mission hat, über ihre unmittelbare Arbeit hinaus, interessante Fernwirkungen gehabt. Durch die Berichte, die Ziegenbalg und Bövingh über ihre Reisen nach Indien herausgaben, worin sie über ihre Begegnungen mit den Hottentotten in Südafrika berichteten, kam dort die Missionsarbeit in Gang, sowohl durch die niederländische reformierte Kirche, wie auch, von dieser veranlasst, durch die Herrnhuter, deren Missionar Georg Schmidt 1737 dort landete. Susanna Wesley las im „Account of the succes of two Danish missionaries“ die Briefe der Tranquebar-Missionare und nahm Missionsunterweisung in ihre Kindererziehung auf. Gründler, Henry Martyn und W.T. Ringeltaube sind durch die Halleschen Berichte zur Missionsarbeit angeregt worden. Auch Zinzendorf und die Herrnhuter Brüdergemeine hat von der Dänisch-Halleschen Mission Impulse empfangen, las doch schon die Großmutter Zinzensdorfs die Halleschen Missionsberichte und lernte Zinzendorf schon als Kind dadurch die Mission kennen. Er selbst sagte 1753 darüber: „Wenn keine ostindischen Missionsberichte wären, so hätten wir auch keine Heidenbekehrung. Aber da wir gesehen, dass es in unserer deutschen Sprache Menschen gibt, die den Heiden das Evangelium verkünden, und sie nehmen es an, so haben wir gedacht: Was andere unseres Glaubens tun, können wir auch tun. Wir sind darauf weder aus der Bibel, noch aus Reisebeschreibungen, noch aus den zweideutigen Berichten gekommen, wie sie an die Sozietäten einliefen aus den englischen Posten, sondern die ersten Apostel Plütschau, Ziegenbalg und Gründler haben uns darauf gebracht.“ Darum auch ein Herrnhuter sagt: „Zinzendorf wäre kaum Missionsmann geworden, wenn er nicht die Berichte der Tranquebar-Mssionare in Halle gehört und gelesen hätte. Nicht minder war es die Persönlichkeit der Missionare, die ihm tiefen Eindruck gemacht hatten.“ (Lehmann, S. 191)

Es ist wohl auch nicht ohne Bedeutung gewesen für die Gründung der Berliner Missionsschule durch Pastor Jänicke, dass sein Bruder 1788-1800 dänisch-hallescher Missionar gewesen ist.

Wir sehen daraus, wie ungeheuer wichtig es ist, dass Gemeinden und Kirchen direkte Verbindung zu Missionaren haben, ihre Berichte lesen, bedenken, für sie spenden und mit ihnen leben. Die geistlichen Auswirkungen gehen tief in das persönliche und gemeindliche Leben.

Christian Friedrich Schwartz,

der Königspriester von Tanjore

Ein Lebensbild

Nach alten Berichten zusammengestellt

von

Roland Sckerl

 

Der Weg in die Mission

„Einen der tätigsten und furchtlosesten, sowie einen der erfolgreichsten Missionare, welche seit den Aposteln aufgetreten sind“, so nannte Bischof Heber Christian Friedrich Schwartz (Lehmann, S. 273). Was war das für ein Mann? Wie kam er nach Indien? Wie wirkte er dort?

Christian Friedrich Schwartz kam aus einfachen Verhältnissen. Er wurde am 8. Oktober 1726 in Sonnenburg in der Neumark als Sohn eines Bäckermeisters geboren. Das bedeutete: Die Schulzeit war für ihn auch eine Zeit der Einschränkungen. Als er auf die höhere Schule nach Küstrin ging, hielt er sich durch Freitische und Stundengeben über Wasser. Dadurch lernte er, genügsam zu sein, eine gute Vorbereitung für das entbehrungsreiche Leben, das er dann in Indien führen sollte, wovon er damals aber nicht einmal träumte. Als er dann mit 20 Jahren auf die Universität kam, hat sein Vater ihm sinngemäß gesagt, dass die karge Nahrung und einfache Kleidung, „die oft absichtlich auferlegte harte Lebensweise“ ihm sicherlich eine gute Schule der Selbstverleugnung für das künftige Leben seien und er so schon früh lerne, sich in jede Lage zu schicken. (Lehmann, S. 262).

Dabei war die Kindheit auch von einer anderen Seite her betrüblich gewesen: Seine Mutter starb schon 1731. Als sie auf dem Sterbebett lag, weihte sie aber im Beisein ihres Beichtvaters den kleinen Christian Friedrich dem Herrn und ließ sich von ihrem Mann eidlich zusagen, dass er ihn nicht daran hindern werde, wenn er einst Theologie studieren wolle.

Auch in Halle auf der Universität blieb das Leben beschwerlich und ging nicht immer ohne Schuldenmachen ab. Schwartz hatte aber einen Freitisch und konnte auf der Deutschen Schule unterrichten. Er wird als ein fleißiger Theologiestudent beschrieben, der auch durch manche Anfechtungen und Kämpfe hindurch musste. Er sagte selbst über seine Schul- und Universitätszeit: „Aus dem, was Gott an mir getan und wie ich mich gegen Gott verhalten habe, sieht man unleugbar zunächst die Tiefe des menschlichen Verderbens. Ich glaube gewiss, dass nicht leicht jemand so verderbt gewesen ist wie ich. Bei so viel Aufweckungen immer im Schlafe der Sünden zu bleiben, ist beinahe unglaublich. Das soll mich durch Gottes Gnade immer kleiner und niedriger machen, dass ich gern einen anderen höher halte als mich. ... Wenn ich an die unaufhörlichen Bearbeitungen Gottes gedenke, so werde ich am meisten beschämt vor seinem Angesichte. O, wie hat Gott eine Seele so lieb, wie geht er ihr nach. Auf wie mancherlei Weise sucht er einen Menschen zu sich zu ziehen, bald durch Liebeserweisungen, bald durch Ernst und wird des Erbarmens nicht müde.“ (Plitt/Hardeland, S. 167 f.)

Auf der Universität in Halle traf er mit Benjamin Schultze erstmals einen Missionar, der in Indien im Dienst gestanden war. Auch er stammte aus Sonnenburg. Durch ihn kam die Frage an Schwartz, ob er nicht auch nach Indien gehen sollte. Zunächst bat ihn Schultze, doch Tamilisch zu lernen, damit er ihm bei der Drucklegung der tamilischen Bibel helfen könne. Und Schwartz begann tatsächlich mit dem Tamilischen. Dieses Sprachstudium war für ihn „eine große Ermunterung zum rechten Ernst, denn von der Zeit an dachte ich oft: Du wirst noch einmal die Vocation [Berufung] nach Indien bekommen. Unbekehrt kannst du nicht hingehen, deswegen musst du es dir einen Ernst sein lassen“. (Lehmann, S. 263) Aus dem Bibeldruck wurde nichts – aber im März 1749 kam die Berufung für Schwartz nach Indien – und zugleich eine solche in ein Pfarramt im Norden von Halle. Wo sollte er nun hingehen? Er wollte keine eigenen Wege gehen. Er flehte zu Gott um Gewissheit, welcher Weg von Ihm sei: „Ich ging in die Stille und bat Gott herzlich, er möge mir hierinnen seinen heiligen Willen zu erkennen geben, damit ich nicht wider seinen Willen handelte. Allein mein Herz war damals so eingenommen, dass ich den Ruf nach Ostindien zu gehen abschlug. Aber kaum waren etliche Tage verflossen, so geriet ich in große Not deswegen, dass ich endlich Gott bat, wo es sein Wille sei, dass sich sollte nach Ostindien gehen, so möchte er den Ruf noch einmal an mich ergehen lassen.“ (Plitt/Hardeland, S. 168 f.)Und dieser Ruf kam wirklich nochmals an ihn, so dass er jetzt ganze Klarheit hatte: Indien war Gottes Weg für ihn. Sein Vater ließ ihn, den Sohn, ganz los für den Dienst des Herrn: „Vergiss deines Vaters Haus!“ (Lehmann, S. 263) Ungeteilt und ohne Angst sollte der Sohn in die Mission gehen können. Und tatsächlich ist ja Schwartz nie wieder nach Europa oder Deutschland zurückgekehrt, sondern ununterbrochen bis zu seinem Heimgang 48 Jahre in Indien als Missionar geblieben.

Im September 1749 wurde er in Kopenhagen examiniert und am 17. September ordiniert. Während seines Aufenthalts in der dänischen Hauptstadt besuchte er den Mathematikprofessor Ziegenbalg, den Sohn des großen Indienmissionars. Dann reiste er weiter nach London, von wo aus er am 29. Januar 1750 nach Indien in See stach, das er am 17. Juli in Kudelur erreichte. Knapp zwei Wochen später, am 30. Juli 1750 traf er abends in Tranquebar ein, wo er bis 1762 wirken sollte. Bei seiner Ankunft zählte die tamilische Gemeinde 1647 Glieder, die portugiesische Mischlingsgemeinde 323 und die zu Tranquebar gehörenden Landgemeinde 3555 Glieder.

Schwartz als Missionar in Tranquebar

Da er schon in Halle angefangen hatte, Tamilisch zu lernen, fiel ihm der Anfang in Tranquebar leichter als den Missionaren, die ohne jegliche Sprachkenntnis ankamen und nun erst beginnen mussten, sich die Sprache anzueignen. Am 22. November 1750 konnte er schon die erste tamilische Predigt in der Neu-Jerusalemkirche halten. Dass dies so bald möglich war, das lag aber auch daran, dass Schwartz unermüdlich den ganzen Tag sich mit dem Sprachelernen beschäftigte. Es war ihm ganz wichtig, das Tamilisch gründlich zu erlernen, um es gut zu beherrschen. Jahrelang las er zu diesem Zweck auch viele hinduistische Bücher, die ihm neben einer guten Sprachkenntnis auch einen tiefen Einblick in die heidnische Religion gaben und es ihm ermöglichten, sich viele Sprichwörter anzueignen.

Schwartz brachte eine Voraussetzung für den Missionsdienst nicht mit: eine kräftige Gesundheit. Im Gegenteil! Er war oft kränklich, hatte Anfälle und Brustschmerzen, so dass es ein Wunder Gottes ist, dass er, im Gegensatz zu vielen anderen der frühen Tranquebar-Missionare, solch ein langes und arbeitsreiches Leben in Indien aushalten konnte. Er gönnte sich keine Schonung. Erholungsurlaub, so, wie ihn später die Leipziger Missionare in dem angenehmeren Klima in Kodaikanal haben konnten, gab es damals nicht. Für Gott und den Dienst war man ganz da, willig „zu geben, ohne die Kosten zu berechnen; zu kämpfen, ohne der Wunden zu achten; sich zu mühen, ohne Ruhe zu suchen; zu arbeiten, ohne irgendeine Belohnung zu erwarten außer der einen: zu wissen, dass wir Deinen Willen tun, o Herr, unser Gott“, wie es fast 200 Jahre später in einem Gebet der Dohnavur-Gemeinschaft in Südindien hieß. (Lehmann, S. 266)

Jeden Sonntag predigte er in drei Sprachen, wobei jeder Gottesdienst jeweils zwei Stunden dauerte. Und wo immer er konnte, sprach er mit den Menschen. Er war wirklich das, was man heute einen „Kontaktmissionar“ nennt, der keine Gelegenheit ausließ, mit den Menschen sprechen zu können, Verbindungen aufzubauen, um ihnen Jesus Christus zu predigen.

Er wollte aber nicht nur in Tranquebar selbst wirken, er wollte vielmehr auch hinaus, tief hinein in das Tamilenland (Tamil Nadu). Hauptmann Berg aus Hamburg hatte es erreicht, dass seit 1755 immer wieder Missionare nach Tanjore (Tandschur) kommen durften; im April 1759 war Schwartz das erste Mal dort.

Weil von lutherischen Christen auf Sri Lanka (damals: Ceylon) die Bitte kam, so reiste er 1760 nach Jaffanapatnam und Colombo, um dort fünf Monate zu wirken, an Europäern wie auch Heiden.

Missionar in Tiruchi

Dann aber war er zehn Jahre lang in Tiruchi (damals: Tirutschinapalli), obwohl sowohl das Missionskollegium in Kopenhagen wie auch die Missionsfreunde in Halle das nicht verstanden. Das Problem war ja, dass Tiruchi nicht mehr im dänischen Gebiet lag, sondern im britischen Einflussbereich. Und obwohl er „dänischer Missionar“ bleiben wollte, wurde er schließlich doch so etwas wie ein „englischer Missionar“, nicht der Konfession nach, die wechselte er, im Gegensatz zu späteren Missionaren (Rottler) nicht, wurde aber von der englischen Gesellschaft unterhalten. Er blieb aber mit der dänischen Mission verbunden, konnte auch jederzeit in die Tranquebar-Mission zurückkehren und sollte weiter die Landgemeinden betreuen. Die Gemeinden, die Schwartz aufbaute, waren stets evangelisch-lutherische Gemeinden, keine anglikanischen. Allerdings hat auch er schon mit der Konfessionsmengerei begonnen, wenn er meinte, auf Bitten auch anglikanischen Gottesdienst für die englischen Soldaten halten zu müssen und dabei das anglikanische Common Prayer Book zu verwenden (Er war vom britischen Kommandanten zum Garnisonspfarrer der britischen Soldaten ernannt worden). Ähnliches hörte man ja zur gleichen Zeit auch von Heinrich Melchior Mühlenberg in Amerika. Hier wäre ein klares Stehen zu den Grenzen des Bekenntnisses nötig gewesen. Aber diese konfessionelle Klarheit und Eindeutigkeit war in Halle leider nicht vorhanden.

Der dänische Missionar Maderup hatte ihm abgeraten, in Tiruchi zu bleiben – aber die anderen Missionare in Tranquebar erkannten die Möglichkeiten, die sich ihm dort boten und bestärkten Schwartz darinnen, sich dort dauerhaft niederzulassen. Gott „habe Schwartz gleichsam eingezäunt und uns mit ihm, dass wir und er gleichsam über den Zaun springen müssten, wenn wir ihn de facto von da abberufen wollten, und er de facto jenen angelegten Garten verlassen und zu uns kommen wollte“. (Lehmann, S. 267) Tiruchi war eine wichtige Stadt, ein bedeutender Verkehrsknotenpunkt, vor allem aber ein Hauptsitz des Heidentums durch die in der Nähe gelegene Tempelstadt Sirengam. Dadurch, dass Mohammed Ali, der Oberherr über den Nabob von Tiruchi, britische Truppen in die Stadt legte, eröffnete sich damals die Möglichkeit, dass auch europäische Missionare dahin kamen.

Schwartz war nicht der erste Missionar in Tiruchi. 1734 war schon Rajanaiken, ein ehemaliger römischer Katholik, der durch Schriften aus Tranquebar zum lebendigen Glauben gekommen war und sich mit drei Soldaten, die er unterwiesen hatte, 1727 in Tranquebar hatte taufen lassen, erstmals dort gewesen. Nun kam 1762 Schwartz dorthin, predigte den Indern und Europäern und unterhielt eine englische und eine tamilische Schule. Mit diesen Schulen unterrichtete er auch die Katecheten, die für die Mission brauchbar waren, zum Predigtdienst

Vor allem aber ging er weiter viel zu den Heiden, lernte auch noch Hindustani, die Umgangssprache der Moslems, und Persisch, die Hofsprache, um auch den hohen Herren am Hof als Missionar begegnen zu können. Jeden Nachmittag hielt er eine Heidenpredigt.

Samstags besuchte er das Militärhospital, um den Soldaten Gottes Wort zu bringen. Aus dem Militär bildete sich bald ein Helferkreis von etwa 60 Soldaten, die ihn unterstützten und die allabendlich zu ihm zur Betstunde kamen, wo sie zunächst eine halbe Stunde zusammen sangen, Schwartz dann aus der Bibel vorlas und sie danach auf den Knien beteten. „Dergleichen ist in Indien noch nicht gesehen; es ging gar lieblich, ja, himmlisch zu.“ (Plitt/Hardeland, S. 172) Die Visitatoren der Tranquebar-Mission, Kohlhoff und Gericke, bezeugten: „Er tut allein mehrerer Missionare Arbeit und wir haben hier mehr gefunden, als wir uns vorstellen können.“ (Lehmann, S. 269)

Königspriester in Tanjore

Zehn Jahre, von 1762 bis 1772, wirkte Schwartz in Tiruchi; danach aber begann für ihn, der schon 22 Jahre in Indien war, seine längste Schaffensperiode, nämlich 26 Jahre in Tanjore (Tandschur), wo er der „Königspriester“ wurde.

Auch in Tanjore bestand schon eine Gemeinde, bevor er dort hinkam. Diese Gemeinde war durch den bereits erwähnten Rajanaiken entstanden, der aus Tanjore stammte und dort Gottes Wort verkündigt hatte und über 40 Jahre im Dienst der Mission gestanden war und mit Hilfe von Katecheten und Pastoren aus Tranquebar dort gewirkt hatte. Ende 1727 hatte die Gemeinde schon 15 Christen umfasst, Weihnachten 1728 sogar 100 und im Oktober 1730 367 Glieder. Schwartz taufte allein 1774 500 Seelen. In den Jahren 1773-1800 kamen 3026 Menschen hinzu.

In Tanjore hatte Schwartz völlige Predigtfreiheit und auch Zugang zum König, der eine echte Neigung zum Christentum zeigte, aber leider auch dem Trunk und der Wollust ergeben war, so dass es nicht zu einem Durchbruch zum lebendigen Glauben kam. Schwartz baute in Tanjore zwei Kirchen und festigte die Gemeinde im Glauben. Der Missionar John sagte 1795 über ihn: „Sein lauterer Sinn, seine Uneigennützigkeit und Gewissenhaftigkeit, seine Tätigkeit und sein Eifer für die Erhaltung der Mission, seine treue Sorgfalt, mit dem geistlichen Wohle der Christen auch das leibliche zu verbinden und ihnen Nahrungswege zu verschaffen, seine Amtsklugheit, seine Inbrunst im Gebet, seine Gabe, auch in einer gemischten Gesellschaft auf eine Art zu sprechen, welche die Aufmerksamkeit aller an sich zieht, seine Geschicklichkeit, das Tadelhafte mit einer so freundlichen und heiteren Miene anzuzeigen, dass auch der Vornehmste und Stolzeste sich nicht beleidigt findet, und andere seltene Eigenschaften mussten ihn bei jedermann beliebt und schätzbar machen. Und selbst sein äußerer Anstand, sein silberweißes lockiges Haar, sein heiteres Auge und seine Gesichtszüge flößten Ehrfurcht und Liebe gegen ihn ein. Acht Tage brachte ich bei diesem patriarchalischen Manne auf die angenehmste Weise zu und vergaß in seinem Umgang fast, dass ich krank war.“ (Lehmann, S. 269 f.)

Von Tanjore aus ging Schwartz auch weiter in den Süden Indiens, war 1778 der erste evangelische Missionar in Madura und kam dann nach Palamcotta im Tinnevelly-Distrikt, wo er die Brahmanenwitwe Raja Clarinda taufte. Sie führte noch weitere Menschen hinzu, so dass die Gemeinde in Palamcotta 1780 schon 40 Christen umfasste, 1790 300 Glieder hatte.

Das Ansehen von Schwartz war gewaltig, so dass er auch von den weltlichen Obrigkeiten immer wieder um Hilfe gebeten wurde, wenn es keinen Ausweg mehr zu geben schien. Als einmal 65.000 Bewohner das Gebiet des Königs von Tanjore verlassen hatten, um der Unterdrückung durch dessen Beamten zu entgehen, konnte niemand sie zur Rückkehr bewegen. Dann bat der Gouverneur Schwartz, doch mit den Menschen zu sprechen. Und tatsächlich, es gelang ihm, sie zurückzuführen und dazu zu bringen, die Felder zu bestellen. Er erreichte auch, dass der hartherzige Minister, der Ursache der Abwanderung gewesen war, entlassen wurde. – Als einmal die Bauern nichts mehr liefern wollten und Tanjore fast schon zur Kapitulation gezwungen war, sandte man Schwartz zu den Bauern, um mit ihnen zu verhandeln. Und wirklich, er schaffte es, dass die Ochsenkarren der Bauern wieder Reis brachten – aber auch die ordentliche Bezahlung wurde von Schwartz garantiert und durchgeführt.

Bekannter noch wurde er durch seine Friedensmissionen, die er für den König von Tanjore zu Hyder Ali ausführte, wiewohl er, Schwartz, selbst sich etwas eigenartig vorkam, als Missionar in der Politik tätig zu sein – aber um des Friedens willen war er zu diesem Schritt bereit. Hyder Ali, der sieggewohnte König, empfing ihn, gewährte ihm auch Freiheit, den Deutschen, Franzosen und Tamilen zu predigen, ja, hätte ihn gerne behalten. Mehrfach konnte er so während des Krieges über die Frontlinie hin und her gehen, um seine Friedensmission auszuführen. Als dann die Briten mit Hyder Ali diplomatische Beziehungen aufnehmen wollten, akzeptierte er keinen Gesandten, sondern nahm nur Schwartz an: „Man möge mir den Christen schicken, der wird mich nicht betrügen!“ (Lehmann, S. 271)

Und noch ein Name ist mit dem Wirken des Königspriesters verbunden: Vedanayagam, der große christliche Dichter des tamilischen Volkes. Er wurde in Tirunelveli geboren und römisch-katholisch getauft, aber seine Eltern traten dann in die lutherische Gemeinde von Schwartz über. Schwartz war über die Intelligenz des Knaben überrascht. Mit Erlaubnis des Vaters nahm er den zwölfjährigen Jungen mit nach Tanjore, wo er zwei bis drei Jahre bei ihm blieb und er die Seele und den Charakter von Vedanayagam entscheidend prägte. In dieser Zeit entstand auch die Freundschaft des späteren Dichters mit dem Prinzen Serfojee, der vom König Schwartz zur Erziehung anvertraut war, eine Freundschaft, die ein Leben lang halten sollte. 1789 sandte Schwartz ihn dann nach Tranquebar zu Dr. John, der ihn vier Jahre in der Bibel unterwies. Auch Deutsch und Englisch lernte er während dieser Zeit. Als er dann mit 19 Jahren nach Tanjore zurückkehrte, machte Schwartz ihn dort zum Hauptlehrer der Schule.

Auf dem Sterbebett des Königs von Tanjore war Schwartz von diesem zum Erzieher und Vormund des Prinzen Serfojee ernannt worden, den der König als seinen Nachfolger adoptiert hatte. Dieser Hindufürst Serfojee hat dann Schwartz in englischer Sprache auf die Grabplatte schreiben lassen (nach der Übersetzung durch Karl Graul) (Lehmann, S. 272):

Fest warst Du, weise, demütig,

Redlich, rein, unverstellt gütig;

Vater der Waisen, der Witwen Stütze;

Tröster in jeglicher Trübsalshitze;

Denen in Finsternis Helfer zur Klarheit,

Wandelnd und weisend die Wege der Wahrheit;

Segen den Fürsten, den Völkern und mir,

Dass ich, mein Vater, nachwandele Dir,

Wünschet und bittet Dein Serfojee hier.

Auch in der Fort-Kirche ließ er ihm ein Denkmal aus Marmor errichten.

Im Rückblick auf sein Missionarsleben schrieb Schwartz 1793: „Ich lebe des fröhlichen Glaubens, dass Gott die Einöden und Wildnisse dieses Landes bauen wird. Geschieht es erst, wenn wir in der stillen Kammer des Grabes ruhn, sollten wir darüber uns kümmern? Dieses Land ist mit Dornen überwachsen; wir müssen daher zuvor pflügen und guten Samen ausstreuen und den Herrn bitten, dass er ihn aufgehen lasse. Unsere Arbeit im Herrn und für seine Sache und Verherrlichung wird nicht vergeblich sein. Ich stehe am Rande der Ewigkeit, aber ich bereue es nicht, hier 43 Jahre im Dienste meines göttlichen Herrn zugebracht zu haben.“ Und dem Missionar Cämmerer versicherte er, dass der Missionsdienst der seligste sei und mit keinem auf der Welt zu vergleichen.; es komme zwar manches Kreuz, aber das sei heilsam, denn dadurch werde das Herz zu Gott gezogen und in der Demut erhalten, welche das stolze Herz so leicht vergisst. Er schloss: „Glauben Sie, das Glück ist unaussprechlich groß, in Christus Vergebung der Sünden zu haben. Ach, was hat mein Heiland für mich armen Sünder getan!“ (Plitt/Hardeland, S. 176 f.)

Am 13. Februar 1798 ging Christian Friedrich Schwartz nach einem erfüllten Missionarsleben heim und wurde in der Kirche in Tanjore beigesetzt. Christen und Heiden pflegten von ihm zu sagen: „Wen Vater Schwartz segnet, der ist gesegnet, und wem er flucht, der ist verflucht.“ (Lehmann, S. 262) Und der Missionar Germann schreibt über ihn: „Auch mir steht Schwartz als Mustermissionar da in seiner Bereitschaft und Fertigkeit, überall und zu jeder Zeit und stets passend Zeugnis abzulegen von Christus und der Seligkeit im Glauben an ihn, als Mustermissionar in der Fernhaltung wie in der Verbindung und Verwertung der politischen Geschäfte zu Missionszwecken, bewunderswert auch wegen der seltenen Gabe, ohne die geringste Verleugnung eigener Überzeugung im persönlichen Verkehr niemand zu verletzten und sich feind zu machen – zweifach bewundernswert in einer so überaus elenden, glaubenslosen Zeit; eine hochragende Säule unter Ruinen rings umher, ein Leben spendender Quell, der eine grünende Oase um sich schafft in der Wüste!“ (Plitt/Hardeland, S. 179 f.)

 

 

Johann Philipp Fabrizius,

der Meister der tamilischen Sprache

Ein Lebensbild

Nach alten Berichten zusammengestellt

von

Roland Sckerl

Kindheit und Jugend – Zurüstung zum Missionsdienst

Am 22. Januar 1711 wurde dem hessischen Amtmann in Kleeberg sein siebtes Kind geboren und dann auf den Namen Johann Philipp Fabrizius getauft. Ein weiteres Kind sollte noch kommen. Die Familie, in die das Kind hineinwuchs, war von lebendigem, wahren Christentum geprägt. Den Sonntag verwendete der Amtmann in erster Linie dazu, mit seiner Familie und den Hausangestellten in Gottes Wort und anderen erbaulichen christlichen Büchern zu lesen. Durch besonders ausgewählte Hauslehrer suchte er den Samen des göttlichen Wortes früh in die Kinderherzen zu säen. Philipp Fabrizius hat später seine Kindheitsjahre in den Gebetsworten beschrieben:

O wie hast Du meine Seele

stets gesucht, zu Dir zu ziehn,

dass ich aus der Sündenhöhle

möchte zu den Wunden fliehn,

die mich ausgesöhnet haben.

In dieser Glaubenshaltung zog er 1728 mit 17 Jahren, zusammen mit zwei Brüdern, auf die Universität Gießen, um gemäß der Familientradition Jura zu studieren. Durch Gottes Gnade konnte er auch hier seinen einfältigen, bibelgebundenen Glauben bewahren. Zu einem besonderen Segen wurden ihm dabei die Predigten und Erbauungsstunden Johann Jakob Rambachs, der damals Theologieprofessor in Gießen war. Die liebste Erholung während seines Studiums war ihm, sich besonders aussagekräftige Bibelverse in ein spezielles Buch, geordnet nach Sachgruppen, aufzuschreiben. Ist es verwunderlich, dass ihm immer wieder der Wunsch kam, Theologie zu studieren. „Und da mir Gott solche Süßigkeit in seinem Worte entdeckte, so entstand bei mir ein großes Verlangen nach dem studio theologiae, welches ich jedoch immer wieder vorbeigehen ließ, in Meinung, es sei nun damit zu spät.“ (Plitt/Hardeland, S. 157) Dreieinhalb Jahre studierte er Jura, bis er 1732 zu seinem ältesten Bruder zog, der inzwischen Nachfolger des Vaters als Amtmann geworden war, um ihm die Kinder zu unterrichten. Aber nicht nur den Kindern, sondern der gesamten Familie wurde diese Zeit zum Segen. „Gott gab Gnade, dass sein Wort unter uns in Schwung kam und dass wir unter der gemeinschaftlichen Betrachtung desselben manche vergnügte Stunde hatten.“ (Plitt/Hardeland, S. 157) Neben den Erbauungsbüchern wurden auch die Halleschen Missionsnachrichten gelesen. Wieder brach da das Verlangen auf, doch dem dreieinigen Gott zu dienen. Und nicht eher wurde er ruhig und froh, bis er dem Ruf Gottes gehorsam wurde. Seine Mutter und die Geschwister gaben zu diesem Schritt freudig ihre Zustimmung.

1736 zog er deshalb nochmals auf die Univeristät, diesmal nach Halle. Aber wovon sollte er studieren? Eigene Mittel hatte er keine, seine Geschwister wollte er nicht noch einmal um Unterstützung bitten. Aber Jesus Christus hatte schon für ihn gesorgt. Ein Gönner hatte ihm ohne sein Wissen im Waisenhaus freie Wohnung und weitere Unterstützungen verschafft; außerdem hielt er bald Unterricht und wurde zuletzt ordentlicher Lehrer am Waisenhaus.

Da kam zu ihm der Ruf in die Mission. Professor Francke hatte von etlichen schon abschlägige Antworten bekommen, bevor Kiernander und Zeglin zusagten. Und weil Kiernander und Fabrizius befreundet waren, so sprach Francke auf Philipp an. Nur drei Tage waren noch Zeit bis zur Entscheidung, aber Johann Philipp Fabrizius war sofort bereit. „Ich schätze es für eine der größten Wohltaten Gottes, die er mir in meinem Leben erwiesen, dass er mich noch hat zu dem seligen Studium der Theologie gelangen lassen. Seitdem genieße ich eine solche beständige und gründliche Gemütsruhe, dass ich’s nicht aussprechen und Gott nicht genug dafür loben und erheben kann. ... Ewig währet sein Erbarmen, ewig will er uns umarmen mit der süßen Liebeshuld. Gott hat mich eines gar köstlichen Rufes gewürdigt, das Evangelium von dem Gekreuzigten in der Wüste des Heidentums predigen zu helfen. Die Umstände sind so, dass ich des Willens Gottes vollkommen überzeugt bin und seine selige, herrliche und wunderbare Führung darunter fast mit Händen greifen kann ... Es kommt mir vor, dass ich ein unruhiges Gewissen lebenslang haben könnte, wenn ich den Beruf ausschlagen wollte.“ So schrieb er zum Abschied an seine Verwandten. Und seine Mutter und Geschwister, sie hatten ein volles und freudiges Ja zu diesem Weg. „Mein lieber Sohn! Dass du dem Willen Gottes folgen willst, gefällt mir wohl. Der Gott, der dich dazu berufen hat, wolle dir auch beistehen, die Kraft und einen getrosten Mut verleihen, dich gesund über das wilde Meer, wohin dich der liebe Gott sendet, mit seinen heiligen Engeln geleiten“, antwortete seine Mutter. (Plitt/Hardeland, S. 158 f.)

Einarbeiten in den Missionsdienst

Am 17. November 1740 reiste er dann zuerst nach London und von dort mit dem Schiff nach Tranquebar, wo er am 8. September 1741 eintraf. Große Freude bereitete ihm, was er da sah, wenn die Scharen der Christen vom Lande in die Neu-Jerusalem-Kirche pilgerten oder auch die Schulanstalten. Immer hat er Kinder besonders lieb gehabt und gerne unterrichtet.

Überhaupt war ihm die Mission eine große Freude, denn er erblickte in ihr Gottes Tun. Mit diesem freudigen und heiligen Mut überwand er auch die Schwierigkeiten beim Erlernen des Tamilischen, ja, es zeigte sich bald, dass er dafür eine besondere Gabe hatte. Schon nach einem halben Jahr konnte er, am Karfreitag 1742, seine erste tamilische Predigt halten, und zwar über Johannes 1,29: Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt. In seinem Tagebuch bemerkte er dazu: „Gott schenke Barmherzigkeit, hinfort nach fernerer Erlernung der Sprache, von eben dieser Sache alle Tage des Lebens zu lallen und zu zeugen. Herr, sende dein Licht und deine Wahrheit!“ (Plitt/Hardeland, S. 160)

Im Dezember 1742 taf in Tranquebar die Nachricht ein, dass Missionar Schultze bald nach Deutschland zurückkehren werde. In der allgemeinen Konferenz wurde nun mit Stimmzetteln abgestimmt, wer für ihn nach Madras gehen sollte. Und siehe – alle Stimmen fielen auf Fabrizius. Er wurde als der geeignetste und tüchtigste für diese Station angesehen. Zunächst sollte es aber nur vorübergehend sein, bis aus England endgültige Bescheide kämen. Gott aber hatte es so bestimmt, dass dies die Lebensstellung für Philipp Fabrizius werden sollte. Über die Station, die er übernahm, schrieb er an Francke: „Der Anblick so vieler Armer, Elender, Verirrter soll mich durch Gottes Gnade nicht niederschlagen noch verhindern, dass ich nicht Gott loben sollte für die Erbarmung, mit welcher er diese Leute angesehen hat und dass ich mich nicht von Grund der Seelen freuen sollte über die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes unseres Heilandes, nach welcher er unter so viel Blinde, Lahme, Aussätzige, Unreine und Tote noch jetzt tritt als ihr Arzt und Erlöser.“ (Plitt/Hardeland, S. 160 f.)

Er widmete sich sogleich mit großem Eifer der ziemlich verkommenen Gemeinde und nahm sich besonders der Gehilfen an. 300 Gemeindeglieder hatte er vorgefunden. In 30 Jahren stieg ihre Zahl auf 2200. Bald schon konnte er eine wachsende Zuneigung der Gemeindeglieder erkennen. Über seinen Umgang mit den nicht leicht zu nehmenden Madrassern schrieb er: „Wir haben nach besonderer Beschaffenheit des Temperaments hiesiger Leute aus der Erfahrung immer mehr gelernt, dass Liebe und Geduld und stets gutes Exempel, samt freundlichem Unterricht, das beste Mittel ist, an ihnen etwas Fruchtbarliches auszurichten.“ (Lehmann, S. 274)

Als die erste Aufgabe als Missionar aber sah er die direkte Heidenpredigt an. Schon vor Tagesbeginn brach er, begleitet von einem Katecheten und mehreren anderen Leuten, dazu auf. Wo immer es möglich war, fing er ein Gespräch ein und konnte feststellen, dass die Aufmerksamkeit wuchs, wenn er auf Jesu Leben und Erlösungswerk durch sein Blut zu sprechen kam. Sein Haus stand immer offen für Besucher. Meldeten sich Heiden zur Taufe, so wurden sie teilweise erst wochenlang auf ihren Ernst geprüft und dann bereitete er sie mit 21 Katechesen sorgfältig darauf vor.

Zu all diesem Segen kam aber auch das Kreuz. Zunächst erschien es in der Gestalt seines Kollegen Geister, der hinter seinem Rücken versuchte, die Station der anglikanischen Kirche zuzuführen und in London erbat, den englischen Katechismus einführen zu dürfen. Dem widerstand Fabrizius entschieden und machte deutlich, dass die Mission in Madras als eine evangelisch-lutherische begonnen wurde und nicht geändert werden dürfe. Dann aber waren es vor allem die Kriege, die immer wieder das Land und auch die Stadt Madras verheerten, erstmals 1746 durch die Franzosen und dann weiter bis zum Ende des Jahrhunderts – Franzosen, Niederländer, Mahratten. Mehrfach kam Fabrizius selbst in Lebensgefahr, verließ aber seine Gemeinde nicht, sondern stand vielmehr mit seinem Leben für sie ein. Einmal flohen die Christen aus Furcht vor den heranrückenden Soldaten ins Missionshaus. Fabrizius ging mit ihnen in die Kirche, verschloss diese dann sorgfältig und ging in vollem Ornat vor der Kirche auf und ab und erwartete die Soldaten. Als sie verlangten, ihnen die Kirche zu öffnen, verweigerte er es, wies darauf hin, dass seine Kinder darinnen seien und sie nur über seine Leiche hinein gelangen könnten. Als alle Missionsgebäude zerstört waren, zog er mit seiner Gemeinde nach Paleacatta und versorgte sie auch dort, lebte monatelang nur von Reis und Wasser, damit die Witwen, Waisen und Gehilfen keinen Mangel hatten. Während dieser Zeit schrieb er nach Halle: „Leiden ist jetzt mein Geschäfte – aber des Herrn Gnade und Verheißung sind meines Herzens Stärke, mein Stab und meine Ratsleute, und so oft mir angst ist, rufe ich zum Herrn und Er erhört die Stimme meines Flehens.“ (Plitt/Hardeland, S. 162)

Fabrizius war ein Mann des allgemeinen Vertrauens. Nicht nur von den Missionaren, auch von zahlreichen Europäern wurden ihm daher große Summen anvertraut. Da ließ er sich nun verleiten, nicht für sich, sondern für die Armen, die so viel Not leiden mussten während der Kriege, große Summen gegen hohe Zinsen auszuleihen, aber ohne die nötige Vorsicht. Zwei seiner Hauptschuldner aber stellten gleich darauf ihre Zahlungen ein – und Fabrizius konnte seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen, hatte an die beiden insgesamt 200.000 Taler verloren. Er wurde von seinem Amt abgesetzt, von den Gläubigern mehrmals ins Gefängnis geworden, weil er sich nicht für zahlungsunfähig erklären wollte. Sein Kollege Breithaupt bezeugt aber für ihn, dass dies gewiss aus Gutherzigkeit geschehen ist und Freigiebigkeit. Noch als 77-Jähriger musste Fabrizius für zwei Jahre in Schuldhaft, weil er nicht bezahlen konnte. Aber diese Jahre sind ihm für seinen inneren Menschen zum Segen geworden. Es muss dabei auch bemerkt werden, dass die Geldnot fast ständig über der Mission lastete, da von England, das die Mission im englischen Gebiet tragen wollte, so gut wie nichts kam, und von Halle auch nicht immer.

Der Übersetzer

Drei Jahre währte die ruhige Zeit in Paleacatta. Fabrizius ließ aber diese Zeit nicht ungenutzt verstreichen, sondern widmete sich in dieser Zeit gerade der Dinge, durch die er sich besondere Verdienste für die tamilische Kirche erworben hat: der Bibelübersetzung, dem Gesangbuch und dem Lexikon. An seinen Bruder Sebastian, der Privatsekretär bei Francke war und später Inspektor der von Canstein’schen Bibelanstalten, schrieb er darüber: „Ich weiß, dass mich Gott dazu angewiesen und die nötige Gabe ganz unverdient mitgeteilt hat und es war auch höchst nötig, darum ich kein Geprahle damit mache, sondern glaube, Gott werde es selbst zu seiner Zeit legitimieren und in den allgemeinen Gebrauch einführen. Es lässt sich nun Gottlob die Deutlichkeit, Kraft, Kürze und Annehmlichkeit darinnen allenthalben spüren, wie in unseren europäischen Übersetzungen, welche vier Stücke den früheren Übersetzungen fehlten.“ (Plitt/Hardeland, S. 162) Er übereilte dabei nichts, ging den Text immer wieder durch, erwog jedes Wort und beriet mit den Verständigsten der Eingeborenen. Und sobald die Revision in Madras fertig war, konnten die Brüder in Tranquebar sie begutachten. Missionar Zeglin hat dort mit dem Regierungsdolmetscher Daniel, der auch Deutsch konnte, alles durchgesehen. Fabrizius beherrschte das Schrift-Tamil und die Umgangssprache in großer Vollkommenheit und war sehr vertraut mit dem Sen-Tamil, der Sprache der Dichtung, aus dem er die Umgangssprache anreicherte. Die Bibelübersetzung war sein Hauptwerk. Ein greiser, eingeborener Prediger auf Sri Lanka urteilte 1850 über die Übersetzung: „Die Übersetzung ist in hohem Grade klar und einfach, so dass sie leicht von Gelehrten und Ungelehrten, von Männern und Frauen verstanden wird; die späteren Übersetzungen, die von den Missionaren der verschiedensten Gesellschaften und Konfessionen herrühren, sind gekünstelt, schwülstig und dunkel und deshalb fast ganz unbrauchbar.“ (Plitt/Hardeland, S. 138) Vedanayagam, der tamilische Dichterpatriarch, sprach von ihr als von „der goldenen Übersetzung des unsterblichen Vaters Fabrizius“. (Plitt/Hardeland S. 139) Übrigens ist Tamil die erste der indischen Sprachen gewesen mit einer eigenen Bibelübersetzung, und diese ist von Ziegenbalg begonnen und den anderen Tranquebar-Missionaren vollendet worden. Die Bibel ist zugleich das erste größere Werk in tamilischer Prosa. Die Leipziger Mission hat ab 1878 eine Stereotyp-Ausgabe dieser Bibelübersetzung herausgegeben, die 1893 fertig war und in der Änderungen nur hinsichtlich der Orthographie vorgenommen wurden. Senior Schwarz bemerkte dazu schon 1886: „Dies [Verbesserungen] würde uns ebensowenig gelungen sein, wie es den anderen bisher gelungen ist. Denn wen auch Fabrizius’ Übersetzung, wie jedes menschliche Erzeugnis, nicht ohne Mängel ist, so ist sie doch eine fast unübertreffliche Arbeit, die der teure Mann unter viel Gebet und inmitten vieler, vieler Not und Trübsal gefertigt hat, ohne die geringste Belohnung dafür zu erhalten. Mit Bewunderung erfüllt es mich beim genauen Durchlesen des Textes und bei der Vergleichung mit dem Grundtexte zu sehen, wie jedes Wort desselben, ja jede Partikel genau berücksichtigt und nicht das Kleinste übersehen ist. Und dabei ist die Übersetzung nichts weniger als steif und liest sich leicht. Es ist ein Werk, ja eine Gabe, wofür unsere tamilische Kirche nicht genug danken kann und das sie stets in Ehren halten und fleißig brauchen möge.“ (Lehmann, S. 280)

Als er wieder in Madras war, stellten die Engländer ihm eine Presse zur Verfügung, so dass er 1766-1772 seine Übersetzung des Neuen Testamentes drucken konnte. Sie ist wirklich zur Grundlage der christlich-tamilischen Sprachbildung geworden. 1796 wurde in Tranquebar erstmals die ganze Bibel auf Tamilisch gedruckt. Das hat Johann Philipp Fabrizius nicht mehr erlebt. Die Fabrizius-Bibel ist für die lutherische Tamilenkirche das, was die Luther-Bibel für die deutschsprachige Gemeinde ist.

In aller Stille arbeitete er auch am Gesangbuch, dem seine besondere Liebe galt. Als es 1774 herauskam, enthielt es 336 Lieder und gewann sogleich alle Herzen. Hier besonders bewährte sich beim Übersetzen seine Sprachkenntnis. Dabei hat er nicht nur „Übersetzungsarbeit geleistet“, sondern seine Lieder kamen aus einem angefochtenen, leidenden und betenden Herzen. 1756 hatte er schon 100 Lieder übertragen. Er hatte festgestellt, dass die Lieder in den alten Gesangbüchern zu schwer verständlich waren. Seiner Meinung nach aber sollten Lieder „ein besonderes Hilfsmittel der Erweckung“ sein. Die sangesfreudigen Tamilen eigneten sich die Lieder, die sie die „Herzschmelzer“ nannten, umgehend an. Die Leipziger Missionare bewunderten das Gesangbuch: „Ein solches Gesangbuch besitzt keine andere Mission in Indien. Hier hat sich sein ganzes Herz ergießen können. Die Bußlieder sind so herzdurchforschend, die Jesuslieder so innig und kindlich anklammernd, die Lieder von Taufe und Abendmahl so bekenntnistreu, klar und tief, die Lieder vom Sterben und Begräbnis sind so voll Trost und Hoffnung und die Lieder von der Auferstehung und vom jüngsten Gericht so siegesgewiss und triumphierend, dass man sich Höheres, Tieferes und Innigeres in dieser Sprache kaum denken kann.“ (Plitt/Hardeland, S. 137 f.) Das Gesangbuch der Tamil Evangelical Lutheran Church in den 1950er Jahren enthielt noch 264 Fabrizius-Lieder.

Außerdem erstellte er ein Tamilisch-Englisches Lexikon. Dabei konnte er auf Arbeiten von Ziegenbalg, Schultze, Walther, Sartorius, Geister und Obuch zurückgreifen. Aber erst Fabrizius brachte es wirklich mit Breithaupts Hilfe zum Druck des Lexikons. 1775 begann der Druck, 1779 lag es gedruckt vor: „A Malabar and English Dictionary“. Es enthielt 9000 tamilische Wörter und eine große Sammlung idiomatischer Ausdrücke. Dr. Rottler und Dr. Winslow haben das Lexikon später weitergeführt und es auf 37.000 und dann auf 67.000 Wörter gebracht.

Sein Lebensabend ist überschattet worden von den Geldschulden und der Schuldhaft, wovon oben berichtet wurde. Als er wieder aus dem Gefängnis entlassen wurde, hatte er noch das gleiche fröhliche Herz, aber die Füße waren schwach geworden. Sein Nachfolger Gericke hielt für ihn Leute, die ihm tamilisch und englisch vorlesen mussten. Aber es sollte nur noch eine kurze Zeit sein. Als er sich am 19. Januar 1791 aus seinem tamilischen Gesangbuch vorlesen ließ, bekam er plötzlich Zuckungen und begann zu beben, und schon am 23. Januar, den Tag nach seinem 80. Geburtstag, rief ihn unser Heiland Jesus Christus in die himmlische Heimat. Am 24. Januar wurde er früh in der Kirche zu Madras zur letzten Ruhe bestattet.

Dr. Germann sagt von ihm: „Kein Missionar hat unter den Kriegsstürmen so viel gelitten wie Fabrizius, sein stilles Ausharren muss Bewunderung erregen ... Seine Werke sind zurückgeblieben als ein Denkmal, das nicht verwittert.“ (Plitt/Hardeland, S. 164)

Und wie ging es weiter?

Diese Frage stellt vielleicht der eine oder andere Leser, der nun ein Interesse gewonnen hat an der Mission unter den Tamilen. Der Tod Ziegenbalgs war ja ein schwerer Schlag für die Mission gewesen, Gründler stand zunächst völlig allein. Aber das Missionskollegium hatte inzwischen drei weitere Kandidaten ausgewählt, die noch im gleichen Jahr nach Indien abreisten, Schultze, Dal, Kistenmacher. Die Arbeit ging also weiter und weitete sich mehr und mehr aus. Schwartz, der „Königspriester von Tanjore“ hat sie auch weit ins indische Hinterland getragen und zu dem indischen König von Tanjore (Tandschur) enge Kontakte geknüpft.

Aber die Mission konnte sich nicht losgelöst von den Vorgängen in der Heimat entwickeln. Und in Europa breitete sich im Gefolge der Aufklärung der Rationalismus immer stärker in der Kirche aus. Damit trat naturgemäß der Missionsgedanke immer stärker zurück. Gerade die Universität zu Halle, die doch so sehr vom Pietismus geprägt war, wurde die Hochburg des Rationalismus und Schüler der Franckeschen Anstalten seine Propagandisten (z.B. Johann Salomo Semler). Dadurch wurde es im späten 18. Jahrhundert immer schwieriger, Männer zu finden, die als Missionare hinausgehen wollten. Die Missionare, die noch vor Ort waren, machten den Vorschlag, doch unstudierte Helfer zu senden. Tatsächlich wurde einer entsandt, aber dies entsprach nicht den Vorstellungen Halles, wissenschaftliche Mitarbeiter auszusenden. Und noch etwas erschwerte die Arbeit: Die Missionare mit der Halleschen Prägung standen nicht mehr eindeutig und klar im lutherischen Bekenntnis. Dies zeigte sich mit Heinrich Melchior Mühlenberg in Amerika, der dort der Union, also der Zusammenarbeit mit anderen Konfessionen, zuneigte, und das zeigte sich mehr und mehr auch in Indien, wo enge Kontakte zu den Anglikanern gepflegt wurden. Ja, als die Mission immer mehr bergab ging, da übergab schließlich Cämmerer 1825 den Anglikanern alle Gemeinden außerhalb der Stadt Tranquebar. Und die Engländer ihrerseits waren auch sehr darauf aus, nicht nur politisch, sondern auch kirchlich Indien ganz unter ihre Leitung zu bringen. Nur Tranquebar selbst blieb der lutherischen Kirche erhalten.

Aber auch hier dachte der dänische König daran, alles den Engländern zu übergeben. Jetzt aber wehrte sich das Missionskollegium vehement und erreichte, dass zumindest der dänische Pastor in Tranquebar zugleich als Missionar galt und die tamilische Gemeinde betreute. Der letzte Missionar der dänisch-halleschen Mission, Cämmerer, starb 1837.

Aber wie wunderbar hatte es doch Gott gefügt, dass schon zu dieser Zeit die Augen der Missionsfreunde wieder nach Indien sich gerichtet hatten. Durch Gottes Gnade war es in vielen europäischen Ländern, auch den deutschen Staaten, nach den napoleonischen Kriegen zu einer Erweckung und Erneuerung in den Kirchen gekommen, die immer auch einher ging mit einem missionarischen Aufbruch. Schon 1819 hatte sich ein Dresden ein Missionsverein gegründet, der zunächst aber noch keine eindeutige konfessionelle Ausrichtung hatte. Erst durch das Wirken Rudelbachs und vor allem Johann Gottfried Scheibels, der als Altlutheraner aus Preußen hatte fliehen müssen und in Dresden wirkte, kam der Missionsverein zu einer eindeutigen konfessionellen Haltung. 1835 wurde dann bekannt, dass Missionare, die sich der englischen ‚Gesellschaft zur Verbreitung des Christentums in fremden Ländern’ anschlossen, auch das anglikanische Bekenntnis annehmen müssten. Drei Missionsseminaristen, die in Berlin studierten, lehnten dies ab und wurden aus der Anstalt entlassen, woraufhin sie ihre Glaubensbrüder in Preußen und Sachsen um Hilfe baten und zur Jahresfeier des Dresdner Missionsvereins kamen. Und gerade auf dieser Feier sollte, auf Veranlassung Rudelbachs, über eine eigene Missionstätigkeit beraten werden. Der altlutherische Pastor Wermelskirch befürwortete die Bitte der drei Seminaristen, ausgesandt zu werden, und so beschloss der Missionsverein am 17. August 1836, die Mission ganz unter das Bekenntnis der Kirche zu stellen. Die altlutherische Kirche Preußens erklärte bei ihrer ersten Synode die Missionstätigkeit zur Kirchensache. So bildete sich die „Evangelisch-Lutherische Missionsgesellschaft“, die das verwirklichen wollte, was später als Motto formuliert wurde: Lutherische Kirche treibt lutherische Mission und baut lutherische Kirche. Dabei war diese Missionsgesellschaft eine bewusst kirchliche, aber doch aufgebaut auf den erweckten Missionsvereinen in den einzelnen Gemeinden und Kirchen, eine gesündere Ordnung als die im 20. Jahrhundert durchgeführte völlige „Verkirchlichung“ der Missionsgesellschaften, wodurch sie ganz und gar in das Fahrwasser der kirchlichen Theologie gerieten. Am 30. September 1836 erging ein Aufruf an die Lutheraner aller Länder, sich mit dieser Missionsgesellschaft zusammen zu tun – und tatsächlich erhielt sie zeitweilig Unterstützung nicht nur aus den deutschen Staaten, sondern auch aus Russland, Ungarn, Polen, den skandinavischen Ländern, England, Österreich, dem Elsaß, Frankreich, der Schweiz.

Das Wichtigste aber war, dass am 2. März 1840 Heinrich Cordes nach Indien abgeordnet wurde. Er war ein Mann der Erweckung, bewusst konfessioneller, bibelgläubiger Lutheraner, der zwei Jahre am Missionsseminar in Dresden studiert hatte. Er wurde der Brückenbauer zwischen der alten Mission und der nun erneuerten, auch ganz praktisch, denn er heiratete am 1. Juni 1843 die Tochter des letzten dänisch-halleschen Missionars. Mit dem gleichgesinnten dänischen Pastor Knudsen in Tranquebar kam er sehr gut aus. Und nach langwierigen Verhandlungen kam es schließlich dazu, dass Dänemark der Dresdener (später: Leipziger) Mission das Eigentum übertrug. Dabei war der Schritt nach Indien für die junge Mission ein Glaubensschritt gewesen. Verhandlungen mit den Dänen 1838 und 1839 waren ohne Ergebnis geblieben. Ohne Rückhalt in Dänemark beschloss das Komitee vielmehr am 24. Juli 1839, Cordes in das alte Missionsgebiet zu senden.

Die Arbeit hat sich dann über die Jahre ausgeweitet und ist auch in die Tiefe gegangen, es wurde gründlich gearbeitet. Neben Missionaren aus den deutschen Staaten waren vor allem Schweden tätig.

Aber auch jetzt zeigte es sich wieder, wie sehr die Mission mit der Heimatkirche verquickt war. Die Entwicklungen in den Kirchen Deutschlands hatten Auswirkungen auch auf die Mission. Die Union wurde in Preußen und anderen Staaten erzwungen. In Sachsen wurde sie faktisch praktiziert. Altlutherische Seminaristen beklagen mehrmals, dass keine eindeutige Abendmahlszucht geübt wurde und traten zum Teil aus. Noch mehr aber brach der Rationalismus, der in den Kirchen wieder hochkam, auch in die Mission ein. Viele junge Theologen waren ja in die Mission gegangen, weil sie die Zustände in der Heimat nicht mehr ertrugen und hofften, dass doch in der Mission bibel- und bekenntnistreue Kirche gebaut werden könnte. Und dann mussten sie erleben, dass auch dort Missionare waren, die nicht mehr die Bibel als das von Gottes Geist eingehauchte, irrtumslose, klare, unverbrüchliche Gotteswort bekannten. Mehrmals kam es daraufhin zu Austritten. Der folgenschwerste ereignete sich 1893, nachdem Theodor Näther 1892 auf einer Konferenz der Missionare einen Vortrag über die göttliche Eingebung der Heiligen Schrift gehalten hatte. Bei den anschließenden Gesprächen kam die Uneinigkeit der Missionare darüber deutlich zum Vorschein. Die Leitung der Leipziger Mission duldete zwar Näthers Bekenntnis, verwarf aber nicht das Gegenteil, forderte aber von Näther und Franz Mohn zu widerrufen, dass allein die Lehre von der göttlichen Eingebung der Heiligen Schrift richtig und allein berechtigt sei. Das konnten die Missionare unmöglich tun. So schieden Theodor Näther und Mohn aus der Leipziger Mission aus, kamen nach Deutschland und schlossen sich der Evangelisch-Lutherischen Freikirche an. Beide wollten aber wieder nach Indien als Missionare gehen. Die Freikirche wandte sich daher an die mit ihr verbundene Evangelisch-Lutherische Missouri-Synode, sie doch in ein noch nicht bearbeitetes Gebiet in Indien auszusenden. Am 14. Oktober 1894 wurde Näther dann bei der Versammlung des Westlichen Bezirks in St. Charles, Missouri, von neuem als Missionar berufen und ausgesandt und traf Ende Januar 1895 in Indien ein und begann im nördlichen Teil des Salemdistrikts mit einer neuen Missionsarbeit, mit dem Mittelpunkt Krishnagiri. Zwei Jahre später kam auch Franz Mohn wieder nach Indien; Otto Kellerbauer und Reinhold Freche, auch ehemalige Leipziger Missionare, stießen bald darauf zu ihnen.

Aus der Arbeit der Leipziger Mission ist dann 1919 Tamil Evangelical Lutheran Church (TELC) entstanden, mit Tiruchirapalli als Bischofssitz. Sie hat heute etwa 120.000 Glieder und zeigt ein starkes Engagement in der Erziehung und Bildung für Kinder und Erwachsene. Neben der Schwedischen Kirchenmission ist die Hermannsburger Mission mit ihr verbunden. Die Arbeit der Missouri Evangelical Lutheran Indian Mission führte zur Bildung der India Evangelical Lutheran Church (IELC). Auch sie legt ein großes Gewicht auf die schulische Arbeit und unterhält derzeit 59 Elementarschulen, 11 Oberschulen (High schools), 7 Behindertenschulen, 5 Heime und ein Lehrerseminar sowie in Nagercoil seit 1924 das Concordia Theological Seminary. Im Laufe der Jahrzehnte wurde auch in anderen Gegenden Indiens lutherische Missionsarbeit begonnen, so etwa durch die Gossner-Mission unter den Kohs, durch Lars Olsen Skrefsrud unter den Santals in Nordindien und durch die Hermannsburger Mission in Andhra Pradesh.

Die IELC hat heute etwa 50.000 Glieder in 400 Gemeinden mit 160 Pastoren sowie 90 Diakonissen, Katecheten und Evangelisten sowie 20 Gemeindegründer. Das Evangelium wird in Tamil, Malayalam, Kanarese, Marathi, Gujarathi, Hindi und Telugu gepredigt.

Als Quellen sind verwendet worden:

G.L. Plitt, Otto Hardeland: Geschichte der lutherischen Mission. 1. Hälfte. Leipzig 1894. (zitiert: Plitt/Hardeland)

Arno Lehmann: Es begann in Tranquebar. Berlin 1955. (zitiert: Lehmann)

Hans Kirsten, Ida Näther: Unsere lutherische Mission in Indien. Groß Oesingen 1984.